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Philosophen-Portraits

Jeremy Bentham

Wer?

Jeremy Bentham (1748-1832), Philosoph, Jurist – ein ausgesprochener Gentleman. Er wird aufgrund seiner Sozialethik als rechtlicher und sozialer Reformer bekannt und gehört zu den wenigen Männern seiner Zeit, der sich öffentlich für Frauenrechte einsetzte und die Frauenbewegung unterstützte; auch ein Vordenker des modernen Wohlfahrtstaates: er forderte allgemeine Wahlen, eine Reform des Strafrechts, das Frauenstimmrecht, die Abschaffung der Todesstrafe, Tierrechte, die Legalisierung der Homosexualität, eine stärkere öffentliche Bildung und die Pressefreiheit. Er gilt als Vater des Feminismus, als Vorkämpfer der Demokratie, des Liberalismus und des Rechtsstaates. Er ist aber auch bekannt für seine scharfe Kritik an der französischen Menschenrechtserklärung; und er lieferte Argumente für den legitimen Einsatz der Folter und entwickelte ein Modell-Gefängnis, das Panopticon – einen kreisförmigen Gefängnisbau, in dem das gute Verhalten der Inhaftierten dadurch hergestellt werden sollte, dass diese von einem zentralen Wachturm aus permanent beobachtet werden konnten; später hat dies der Philosoph Michel Foucault als Symbol für die Überwachungs- und Herrschaftsstrukturen der modernen Zivilgesellschaft gewählt. Sein Vermögen vermachte er testamentarisch der University of London – unter der Bedingung, dass er weiterhin an jeder Sitzung des Direktoriums teilnehmen könne. Diesem skurrilen Wunsch entsprechend sitzt sein mit einem Wachskopf geschmücktes und bekleidetes Skelett noch heute in einer Glasvitrine (sein mumifizierter Kopf musste in einen Tresor gesteckt werden, da die Studenten ihn immer zu Partys mitnahmen).

Was?

Begründung von Moral

Bentham behauptet, dass es einen einzigen Maßstab für Richtig und Falsch im Handeln gebe, das sog. Nützlichkeitsprinzip*. Es wird auch als Prinzip* des größten Glücks der größten Zahl bezeichnet, weil der Begriff des Nutzens das Wohlergehen im weitesten Sinn meint und die Berücksichtigung der Anzahl der von den Konsequenzen einer Handlung Betroffenen einschließt. Dies sei der Maßstab für die Korrektheit menschlichen Verhaltens in jeder Situation, insbesondere aber des Handelns von Amtsträgern, die die Regierungsbefugnisse ausüben.

Bentham begründet also vor allem eine Sozialethik. Dass der Maßstab für die Korrektheit jedweder Handlung die optimalen Folgen für das Wohl aller von der Handlung Betroffenen ist, plausibilisiert Bentham so: 1. Das Nützlichkeitsprinzip anerkenne die allgemein menschliche Grundbeschaffenheit, immer von Leid & Freude bestimmt zu werden. 2. sei es geeignet, „das Gebäude der Glückseligkeit durch Vernunft und Recht“ zu errichten.

Motivation moralischen Handelns

Minimierung von Leid (pain), Maximierung von Lust/Freude (pleasure) sind die Ursachen und letzten Zwecke menschlichen Handelns. Damit jeder Einzelne nicht nur dem eigenen Nutzen folgt, sind (physische, politische, moralische und religiöse) Sanktionen* erforderlich.

Menschenbild

Hedonismus: Lust als einziger Wert (BP 3.2.6.2. Glück & Moral); sozialreformerisches und politisches Engagement Benthams als Jurist und Parteipolitiker; radikaldemokratische Einstellung: Everybody to count for one, and nobody to count for more than one.

Vergleich

Affinitäten zu Hobbes und Hume, Polarität zu Sokrates (Folgen vs. Prinzipien) und zu Schopenhauer (Nutzen vs. Gefühl).

Überzeugungskraft

Benthams Ethik sollte nicht als rein theoretisches Modell behandelt werden; erwähnt werden sollte der historische Kontext der ‚Utilitarier’, der Partei, die, im England der industriellen Revolution, seit Bentham auf parlamentarischem Weg die Folgen des hemmungslosen Kapitalismus für die betroffenen Menschen zu mildern suchte. – Anspruch einer Sozialethik (vgl. An Introduction to the principles of Morals and Legislation); Vorzug eines weltanschaulich neutralen, empirisch-wissenschaftlichen Verfahrens zur Ermittlung moralisch richtigen Entscheidens und Handelns. – Probleme: Wertmonismus; hedonist. Kalkül ist prognoseabhängig; kein Schutz von Minderheiten und Grundrechten; Gerechtigkeitsproblem.

Autorentext

 

Hilfen:

J. Schroth (hrsg.): Texte zum Utilitarismus, Stuttgart 2016; Ethik & Unterricht Heft 2/2016;

 

 

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Thomas Hobbes

Wer?

Thomas Hobbes (1588-1676), engl. Staatstheoretiker und Philosoph, Zeitgenosse Shakespeares, wurde wegen seiner pechschwarzen Haare von seinen Klassenkameraden „die Krähe“ genannt, später, nach Veröffentlichung seiner Werke The Devil from Malmesbury, nach seinem Geburtsort, einem armen Weiler auf halbem Weg zwischen Bristol und Oxford; studierte in Oxford, verdiente sein Geld lange als Hauslehrer, wobei er mit den ihm anvertrauten Zöglingen öfters Bildungsreisen auf dem Kontinent unternahm. Dort machte er u.a. Bekanntschaft mit dem frz. Philosophen René Descartes und schloss Freundschaft mit Galileo Galilei; spielte gern Tennis und liebte Mathematik, übersetzte aus dem Griechischen Thukydides’ Geschichte des Peloponnesischen Krieges sowie Homers Ilias und Odyssee; schrieb kurz vor seinem Tod (mit 91 J.) noch ein Liebesgedicht und wünschte sich für seinen Grabstein die – von seinen Freunden nicht übernommene -  Inschrift „This is a true Philosopher’s stone“. – Werke: De Cive (Vom Bürger), De Corpore (Vom Körper), De Homine (Vom Menschen), Leviathan (1651).

Was?

Begründung von Moral

Hobbes’ Thema in seinem Hauptwerk LEVIATHAN ist nicht eigentlich Moral, sondern Macht, Krieg, Recht und Staat. In diesem Zusammenhang geht es allerdings auch um moralische Regeln, ohne die ein friedliches Zusammenleben, ein bürgerlicher Zustand und ein legitimer Staat nicht zustande käme. Die Fähigkeit zur Moral ist ein Spezifikum des Menschen, was für Hobbes heißt, dass der Mensch fähig ist auf Gewalt zu verzichten. Moralische Regeln, die er als „natürliche Gesetze“ bezeichnet und mit konstitutiven Spielregeln vergleicht, muss sich der Mensch schaffen – insofern sind sie etwas Künstliches -, um überleben zu können, (d.h. nicht in dauerndem Natur- bzw. Kriegszustand zu bleiben), um kultiviert (und nicht barbarisch) zu leben und sein Glück verfolgen zu können. Die Entstehung bzw. Entdeckung moralischer Regeln verdankt sich der Emotionen Furcht (ansonsten nicht in Sicherheit leben zu können), Hoffnung und der (die Mittel für erhöhte Zukunftschancen kalkulierenden) Vernunft. Eine Komponente der moralischen Regeln besteht in der Verpflichtung, sich an abgeschlossene Verträge zu halten (pacta sunt servanda); die moralischen Regeln selbst haben aber nicht Vertragscharakter und beruhen auch nicht auf einem Vertrag (eine im deutschsprachigen Raum von E. Tugendhat / P. Stemmer verbreitete Interpretation) – sie sind ewig, unveränderbar und überall gültig, wo es um die Grundlegung friedlichen Zusammenlebens geht. (LEV. XV u. XXVI)

Motivation moralischen Handelns

Im Wesentlichen gibt es zwei Beweggründe, sich auf moralische Regeln einzulassen: die Furcht, in einem ansonsten hässlichen brutalen Leben nicht lange zu überleben, und die Entdeckung der berechnenden Vernunft, die darin ein Mittel für die Gewährleistung eines längeren und komfortableren Lebens sieht (= evolutionärer Vorteil).

Menschenbild

Ziemlich pessimistisch und krass: Der Mensch ist ein vom Glücksverlangen getriebener Egoist, um Selbsterhaltung besorgt und zu diesem Zweck, wegen notorischer Ressourcenknappheit und Konkurrenz auf ständige Machtsteigerung erpicht; ohne Einrichtung eines mit dem Gewaltmonopol ausgestatteten Leviathan/Staates gilt: homo homini lupus est.

Vergleich:

Mit allen Philosophen teilt Hobbes die Auffassung, dass die Notwendigkeit der Moral säkular, ohne Bezug auf Religion erklärt wird. Sein pessimistisches Menschenbild wird Schopenhauer übernehmen, Hume wird es relativieren („Wolf+Taube+Schlange ... in jedem Herzen“); Gefühle spielen, wie bei Hume, auch eine bedeutsame Rolle, allerdings überwiegend negative: Furcht und Misstrauen; die Vernunft bzw. der Verstand ist, wie bei Hume und Bentham, ein kalkulierendes Instrument – anders bei Sokrates; das Einhalten von Verträge ist grundlegend (konstitutiv) zur Friedenssicherung, diese Auffassung wird auch von Sokrates/Platon geteilt (im KRITON) – Hume kritisiert die Idee des Gesellschaftsvertrages.

Überzeugungskraft

Hobbes ist hochaktuell sowohl in der politischen Theorie – zwischen Staaten herrscht z.T. immer noch Naturzustand – in Spieltheorie und Wirtschaftswissenschaften, wo das Menschenbild des homo oeconomicus als strategischem Gewinnmaximierer hobbesianische Züge trägt.

Autorentext

 

Hilfen:

J. Rawls: in ders. Geschichte der politischen Philosophie, 2008, S.55-164;

B. Ludwig: Thomas Hobbes - Recht, Unrecht und die Selbstverpflichtung des Menschen, in A. Beckermann/D. Perler (Hrsg.): Klassiker der Philosophie heute, Stuttgart/Reclam, 2005.

 

 

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Arthur Schopenhauer

Wer?

Arthur Schopenhauer (1788-1860), schon als jugendlicher Reisen nach England u. Frankreich, Ausbildung zum Kaufmann, dann Studium der Medizin, Chemie, Physik, dann der Philosophie; Abschluss mit Doktor der Philosophie; ausgedehnte Italienreise; überwirft sich mit seiner Mutter; Leben als Privatgelehrter; Mitbegründer des Frankfurter Tierschutzvereins; erster bedeutender westlicher Philosoph, der sich für die asiatischen Weisheitslehren (Buddhismus) interessiert. – Werke: „Die Welt als Wille und Vorstellung“; „Über das Sehn und die Farben“; „Aphorismen zur Lebensweisheit“; „Die beiden Grundprobleme der Ethik“; „Über den Selbstmord“.

Was?

Begründung von Moral

Laut S. lässt sich Moral nur schwer begründen; Aufgabe der Ethik ist ihm zufolge vielmehr moralische Phänomene zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären (deskriptive, rekonstruktive Ethik). Eine empirische Untersuchung zeigt, dass es Handlungen mit moralischem Wert tatsächlich gibt, nämlich Handlungen freiwilliger Gerechtigkeit und uneigennütziger Menschenliebe. Diese versucht er psychologisch auf einen letzten Grund zurückzuführen. Kriterium aller Handlungen von moralischem Wert ist für ihn das Fehlen aller egoistischen Motivation. Dies liegt vor, wenn mein Handeln ganz allein des anderen wegen geschieht und „sein Wohl und Wehe unmittelbar“ mein Motiv ist. Das wiederum erfordert eine Aufhebung des eigenen Egoismus durch Identifikation mit dem anderen, insbesondere eine Teilnahme am Leiden des anderen wie sie im Mitleid aktualisiert wird. Schopenhauer analysiert diesen Vorgang nicht als rein emotional, weil zur Identifikation eine Erkenntnis („Vorstellung in meinem Kopf“) des anderen erforderlich ist. Natürliches Mitleid ist für ihn die Basis zweier Kardinaltugenden, der Menschenliebe und der Gerechtigkeit, denn eine erste Wirkung des Mitleids besteht darin, die Neigung anderen Leiden zuzufügen, zu hemmen; Mitleid ‚enthält’ also den ersten moralischen Grundsatz: Schädige niemanden (neminem laede)! Weitere Merkmale von Handlungen von moralischem Wert sind Zufriedenheit mit sich („Beifall des Gewissens“) sowie Beifall und Achtung unbeteiligter Zeugen.

Motivation moralischen Handelns

S. klassifiziert alle möglichen Motive in drei Grundtriebfedern, zwei antimoralische und eine moralische: 1. Egoismus; 2. Bosheit und Grausamkeit; 3. Mitleid.

Menschenbild

Seine Mutter, eine berühmte Schriftstellerin, klagte, sein ewiges Lamentieren über die dumme Welt und das menschliche Elend ginge ihr auf die Nerven; Misanthrop; Pessimismus; Fabel von den Stachelschweinen; Menschen werden mehr von Trieben, vom Unbewussten und ihrem Willen als vom Intellekt bewegt. vgl. seine „Nachträge zur Lehre von der Nichtigkeit des Daseins“ und „Zur Lehre vom Leiden der Welt“ (Paralipomena II § 11-12).

Vergleich

S. Menschenbild hat Gemeinsamkeiten mit demjenigen von Hobbes und Hume, auf die er sich ausdrücklich bezieht: Er teilt Hobbes’ Einschätzung von der Enormität des menschlichen Egoismus; er teilt Humes Einschätzung, dass wir über Empathiefähigkeit verfügen (sympathy / Mitleid) und diese die Grundlage für moralisches Handeln bilden. Mit Hobbes und Bentham teilt S. die Einschätzung von der Notwendigkeit von rechtlichen Sanktionen zur Steuerung des menschlichen Verhaltens. Mit Sokrates teilt S. zwar die Überzeugung, dass Unrecht tun schlimmer ist als Unrecht leiden, aber der stärkste Gegensatz liegt in Sokrates’ Intellektualismus, seiner Diskreditierung der Gefühle. Während S. für das Phänomen des Mitleids eine letzte metaphysische Grundlage sucht – in der Erkenntnis, dass „mein wahres inneres Wesen in jedem Lebenden so unmittelbar existiert wie in meinem Selbstbewusstsein“, d.h. in der Aufhebung des principium individuationis (tat-tvamasi: ‚dies bist du’) -, begnügt sich Hume mit einer sozialpsychologischen und naturgeschichtlichen Erklärung unserer Fähigkeit zu sympathisieren (vgl. M. Tomasello: Naturgeschichte der Moral, 2016). – Alle Philosophen suchen nach den Grundlagen der Moral im Menschen, ohne auf göttliche Gebote Bezug zu nehmen.

Überzeugungskraft

Stärken: Unmittelbarkeit des Mitleids, d.h. unabhängig von Bildung u.a.; wem es zu mangeln scheint, nennt man einen Unmenschen. – Schwächen: generiert das Gefühl beide „Kardinaltugenden“? Generalisierbarkeit des Mitleids? Manipulierbarkeit von Gefühlen.

Geistesverwandte

G.E. Lessing; Wilhelm Busch; Georg Büchner; Arno Schmidt; Samuel Beckett; Woody Allen; Jean-Jacques Rousseau; David Hume; Adam Smith; Albert Schweitzer; Emmanuel Levinas; Judith Shklar; Martha C. Nussbaum. – Ethos der Bergpredigt (NT).

 

Hilfen:

s. D. Birnbacher: Schopenhauer. Grundwissen Philosophie, Stuttgart / Reclam 2009, S. 116 – 131

Autorentext

 

 

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David Hume

Wer?

David Hume (1711-1776) schottischer Philosoph des Zeitalters der Aufklärung; hätte nach dem Willen des Vaters Rechtsanwalt werden sollen; studiert sehr früh, aber: Latein, Griechisch, Logik, Naturphilosophie, ohne Abschluss; macht dann eine kaufmännische Lehre; arbeitet später als Privatlehrer, Bibliothekar, Gesandtschaftssekretär im diplomatischen Dienst, zeitweise als Botschafter Englands in Paris; hält sich wiederholt länger in Frankreich auf, wo er Kontakte knüpft mit den französischen Philosophen Diderot und d’Alembert; freundlicher, umgänglicher, geselliger u. humorvoller Typ; hilft dem verfolgten Jean-Jacques Rousseau indem er ihn nach England einlädt; nach der Veröffentlichung seines Traktat über die menschliche Natur (1739/49), der heute als ein Meisterwerk in der Geschichte der Philosophie gilt, bewirbt er sich wiederholt für eine Professur (in Edinburgh u. Glasgow), was am Widerstand der Kirche scheitert: Hume gilt als Skeptiker und „Freidenker“; wird berühmt durch eine mehrbändige Geschichte Englands; verbreitet dann die kritischen Ideen seines Traktats in zahlreichen Essays, die außer philosophischen auch politische und ökonomische Themen behandeln; bedeutendster „Schüler“ und Freund Humes ist Adam Smith, Theoretiker der freien Marktwirtschaft und Autor eines Buches über „Moralische Gefühle“. – 1761 setzt die Kathol. Kirche sämtliche Werke Humes auf den Index librorum prohibitorum, das Verzeichnis verbotener Bücher. Im Wappen der Humes steht die Devise: True to the End.

Was?

Begründung von Moral

Hume beschreibt die Grundlagen der Moral mit dem Anspruch einer überprüfbaren Theorie, die auf Erfahrungstatsachen beruht (empirisch). Zu diesen gehören auch psychologische Tatsachen, d.h. solche die zur denkenden und fühlenden Natur des Menschen gehören. Die Einbeziehung der Psychologie (der Gefühle und aller geistiger Tatsachen) ist notwendig, weil die Vernunft allein nicht hinreicht, um moralische Urteile zu erklären: « Es läuft der Vernunft nicht zuwider, dass ich lieber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger.... » Wenn nun beim moralischen Urteilen Gefühle im Spiel sind, werden die Urteile dann nicht beliebig, weil bloß subjektiv? Hume führt mehrere Gründe an, warum das nicht so sein muss, warum moralische Unterscheidungen, auch wenn sie auf moralischen Gefühlen basieren, inter-subjektiv und konsensfähig sein können. 1. Es gibt eine gewisse Konstanz der menschlichen Natur, d.h. wir teilen mit anderen die Fähigkeit zur Empathie (sympathy) und kennen alle – eine normale Sozialisation vorausgesetzt – Gefühle wie Empörung und Wohlwollen; 2. ermöglicht die menschliche Sprache durch den gesprächsweisen Austausch über Gefühle diese „sozial“ zu machen, sie zu berichtigen und einen gemeinsamen, allgemeinen Standpunkt der Beurteilung von Charakteren, auf die sich die Gefühle beziehen, zu gewinnen; 3. Vernunft und Verstand assistieren bei dieser Beurteilung, weil sie uns nicht nur über Regularitäten in Bezug auf Ursache/Wirkung, sondern auch in Bezug auf Mittel/Zwecke und insbesondere auf die allgemeine Nützlichkeit von Charaktereigenschaften oder nützliche Tendenzen von Handlungen für die Gesellschaft aufklären. – In seiner Affektenlehre (= Emotionstheorie) beschreibt Hume genuin moralischen Gefühle wie  Missbilligung oder Menschenliebe (sense of humanity) als Produkt aus ‚indirekten’ Affekten wie Stolz / Scham, Liebe / Hass, Mitleid / Schadenfreude (die wiederum auf ‚direkte’ Affekte wie Verlangen / Abneigung oder Furcht / Hoffnung und letztlich auf elementare Lust / Unlust-Empfindungen) zurückgehen; die Besonderheit der indirekten Affekte und damit auch der moralischen Gefühle besteht darin, dass sie Assoziationen von Ideen, d.h. gedankliche Komponenten enthalten und damit sprachlich verhandelbar werden. Der Begriff der Moral schließt ein allen Menschen gemeinsames Gefühl ein, das denselben Gegenstand der allgemeinen Zustimmung empfiehlt.

Motivation moralischen Handelns

Was uns zum Handeln, d.h. auch zum guten/schlechten Handeln bewegt sind Gefühle, die letztlich bestimmen, was wir anstreben und in welchen Farben uns Gegenstände, Personen  und Ziele erscheinen – während Vernunft allein leidenschaftslos bleibt und nicht zum Handeln bewegt; zu den grundlegendsten moralischen Gefühlen zählen außer dem Gefühl der Menschlichkeit noch   Achtung / Verachtung, Wohlwollen / Empörung, in denen jeweils die Zustimmung zum Glück aller Menschen bzw. die Empörung über ihr Elend zum Ausdruck kommen.

Menschenbild

Hume erkennt im Unterschied zu Hobbes (und anders als Schopenhauer) außer egoistischen auch altruistische Triebfedern an; die Neigung zu Geselligkeit und Freundschaft sind positiv gesehene natürliche Bedürfnisse (und nicht nur Überlebensstrategien); ‚natürliche’ Tugenden wie Wohlwollen genügen allerdings nicht, um eine gesellschaftliche Ordnung zu stabilisieren: dazu bedarf es gewisser Konventionen und darauf gestützter ‚künstlicher’ Tugenden wie Gerechtigkeit und Anerkennung einer Rechtsordnung (= Hobbes, Bentham). - Vergleich: optimistischeres Menschenbild als bei Hobbes und Schopenhauer; Parallele zu Schopenhauer in der Bewertung der grundlegenden Rolle von moralischen Gefühlen und insbesondere des Mitleids; teilt mit Bentham den Nützlichkeitsmaßstab bei der Bewertung von Charaktereigenschaften und Handlungen, ohne dessen Kalkül.

Autorentext

 

Hilfen:    

Frank Brosow: Hume. Stuttgart, 2011

 

 

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Sokrates

Wer?

Sokrates (469 - 399 v.u.Z.), dessen Vater Bildhauer bzw. Steinmetz und dessen Mutter Hebamme war, soll in seiner Jugend Naturphilosophie studiert haben, lernte das Bildhauerhandwerk; nahm als Hoplit an mehreren Feldzügen teil; versuchte 406 in der Ratsversammlung vergeblich, ein illegales Todesurteil gegen Athener Feldherrn zu verhindern; widersetzte sich unter dem Regime der »Dreißig« dem Befehl, bei der Festnahme des Leon von Salamis mitzuhelfen; stupsnasig, meist barfuß unterwegs, trinkfest; lehrte auf dem Marktplatz, nahm nie Geld für seine Unterrichtstätigkeit; wurde angeklagt und zum Tode verurteilt, „wegen Abfall von den alten Staatsgöttern und Gefährdung der Jugend“; lehnte die mögliche Flucht aus dem Gefängnis ab; trank den tödlichen Schierlingsbecher, obwohl er hätte fliehen können. – Die von ihm auf unwiderstehliche Weise verkörperte Einheit von Leben und Überzeugung von der Richtigkeit ethischer Grundsätze brachte seinen Schüler Platon, der ursprünglich Politiker oder Dichter werden wollte, dazu auch Philosoph zu werden. Sokrates gilt als Begründer der Ethik, obwohl er selbst keine Schriften hinterlassen, kein Lehrer, sondern nur ein Suchender sein wollte und oft jegliche Weisheit abgestritten hat.

Was?

Begründung von Moral

Platon lässt seinen Lehrer Sokrates in vielen seiner für die große Öffentlichkeit bestimmten Dialoge als Gesprächsleiter auftreten. Vor allem in den frühen und mittleren Dialogen diskutiert er mit Vertretern unterschiedlichster Stände insbesondere die Frage, wie man (gut) leben soll. Zur Klärung allgemeiner Begriffe wie dem des ‚Gutseins’ (bzw. der Tugend) entwickelt S. ein Prüfverfahren, das Widersprüche in den Meinungen der Dialogpartner aufdeckt und sie zu einer selbständigen Erforschung der Wahrheit anleitet. Allerdings enden einige dieser Gespräche mit Sophisten, die Positionen der Lust-, Nutzen- oder Machtmaximierung vertreten, aporetisch und in Beschämung der Partner ob ihres erwiesenen Nichtwissens.

In den sog. mittleren Dialogen benutzt Platon S. dazu, um die für eine nicht-relative Moral erforderlichen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen (die Annahme der Existenz und Wirksamkeit von Perfektionsbegriffen, platonischen ‚Ideen’), aber auch ein Idealstaatsmodell zu konstruieren; hier unterscheidet sich Platon vom historischen Sokrates.

In einem der letzten platonischen Dialoge, tritt Sokrates noch einmal an, um die sokratische Frage nach dem gelingenden menschlichen Leben in einer konstruktiveren Weise zu erörtern: S. wendet das kritische Prüfverfahren nun auch auf seine eigene These (über das Gutsein) an und macht einen durch die Kunst dialektischer Gesprächsführung erarbeiteten gemeinsamen Lösungsvorschlag für den Begriff des gelingenden Lebens: eine maßvolle Mischung aus Lust und Einsicht.

S. hinterfragt und bekämpft hartnäckig den Wert-Relativismus der Sophisten, der Rhetorik-Freaks seiner Zeit, und argumentiert dafür, dass moralisches Gutsein eine starke Wissenskomponente enthält. Was der harte und gemeinsame Kern aller Tugenden ist, soll eine in rationaler Diskussion erarbeitete Wesens-Definition feststellen. Wer sich auf dieses Wissen versteht, verfügt damit sowohl über einen Maßstab als auch ein Movens des Handelns. Unwissenheit ist die Quelle des Schä(n)dlichen und Bösen. - S. richtet sein Handeln und Sprechen an Grundsätzen (oberste logoi) aus, die im Gespräch anerkannt sein müssen und von denen er dann die Entscheidung in Einzelfällen abzuleiten sucht (Syllogismus); z.B. « Unrechttun – vor allem ungestraft - ist immer schlimmer als Unrechtleiden », « Nicht Überleben, sondern Recht-Leben hat den höchsten Wert».

Motivation moralischen Handelns

Jeder sollte am meisten besorgt sein um das Wohlergehen der eigenen Seele; schändliches Tun schadet der eigenen Seele, während über eine harmonische Persönlichkeit nur der Besonnene und Gerechte verfügt; Gerechtsein nutzt letztlich jedem Akteur, Tugend sei ein notwendiger und hinreichender Baustein für (Lebens-)Glück.

Menschenbild

Das Wohlergehen der Seele hängt von ihrem wohlgeordneten Zustand ab, der sich durch Befreiung von Scheinwissen, Gerechtsein und nicht-widersprüchliches Sprechen auszeichnet; hoher Wert des geprüften Lebens (Aufklärung); Fähigkeit eines jeden, Wahrheit im Gespräch aus sich selbst hervorzubringen (Maieutik; Anamnesis; Unsterblichkeit der Seele); Intellektualismus; Willensschwäche gibt’s nicht; aber auch: irrationale Instanzen, nämlich Apollon-Orakel und Daimonion.

Vergleich

Sokrates misstraut, im Unterschied zu Hume/Schopenhauer dem Urteil der Gefühle und dem Urteil des common sense; Ausnahme: Scham-Gefühl ist in jedem Fall zu vermeiden (vgl. GORGIAS u. PROTAGORAS); sucht nach rationaler Rechtfertigung des Handelns durch gerechtfertigte Grundsätze = erster Deontologe; ein Grundsatz: Unrecht meiden und Treue zu eigenen Grundsätzen, egal welche Folgen (auch fürs eigene Leben). – Im Unterschied zu Bentham hat S. vorrangig den individuellen Nutzen im Blick (Individual-Ethik vs. Sozialethik), wenngleich er von seiner aufklärerischen Tätigkeit behauptet, dass sie nutzbringend für den Staat sei.

 

Hilfe: 

C.C.W. Taylor: Sokrates, Freiburg 1999 

 

 

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