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Jahrhundertwende


Naturzerfall und Projektion

M18 Kontexte und Hintergründe einbeziehen

info Phantasus

Zwischen 1898 und 1925 von Arno Holz in immer wieder neuen Schreibprozessen verfertigter Gedichtzyklus, der Erinnerungen an die Kindheit mit Traumfantasien durchsetzt. Naturbilder und –vorstellungen fungieren als Bindeglied; die Stilebenen des symmetrisch um eine Mittelachse gedruckten Werks wechseln immer wieder, sind jedoch vornehmlich dem Impressionismus zuzuordnen.

phantasus.jpg

Bildquelle: Titelblatt: Ausgabe von 1928: Phantasus.jpg (public domain) http://commons.wikimedia.org/

Großstadt und Malerei

Arno Holz
Phantasus (Heft 2 und 1)

In den Grunewald,
seit fünf Uhr früh,
spie Berlin seine Extrazüge.

Ueber die Brücke von Halensee,
über Spandau, Schmargendorf, über den Pichelsberg,
von allen Seiten,
zwischen trommelnden Turnerzügen, zwischen Kremsern mit Musik,
entlang die schimmernde Havel,
kilometerten sich die Chausseeflöhe.

"Pankow, Pankow, Pankow, Kille, Kille" "Rixdorfer" "Schunkelwalzer" "Holzauktion"

Jetzt ist es Nacht.

Noch immer
aus der Hundequäle
quietscht und empört sich der Leierkasten.

Hinter den Bahndamm, zwischen die dunklen Kuscheln,
verschwindet
eine brennende Cigarre, ein Pfingstkleid.

Luna: lächelt.

Zwischen weggeworfnem Stullenpapier und Eierschalen
suchen sie die blaue Blume!


Rote Dächer!

Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,
oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu Tauben.
Es ist Nachmittag.
Aus Mohdrickers Garten her gackert eine Henne,
die ganze Stadt riecht nach Kaffee.

Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge
und liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf den Bauch
und kucke durch die Bodenluke.
Unter mir, steil, der Hof,
hinter mir, weggeworfen, ein Buch.
Franz Hoffmann. Die Sclavenjäger.

Wie still das ist!

Nur drüben in Knorrs Regenrinne
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
ein Mann, der sägt,
und dazwischen, deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen, regelmäßig, hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.

Wenn ich unten runtersehe,
sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:
ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie
und mittendrin, zierlich in einem Zigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.

Wie das riecht? Bis zu mir rauf!

Und die Farben!
Jetzt! Wie der Wind drüber weht!
Die wunder, wunderschönen Farben!

Ich schließe die Augen. Ich sehe sie noch immer.

(1925)

 

1. Markieren Sie im ersten Textausschnitt alle Begriffe, die mit dem Thema „Großstadt“ und „Natur“ zu tun haben.

 

2. Welche Thematik steht im Vordergrund? Interpretieren Sie dieses Verhältnis an Hand der ersten drei Zeilen genauer.
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3. Bestimmen Sie die Rolle des lyrischen Ichs in beiden Ausschnitten. Wie interpretieren Sie in diesem Zusammenhang die Zeilen „Zwischen weggeworfenem Stullenpapier und Eierschalen suchen sie die blaue Blume“?

info blaue Blume

In seinem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ (1802) verwendete der romantische Dichter Novalis erstmals das Bild von der „blauen Blume“, worüber der junge Heinrich vor dem Einschlafen und dann im Traum sinniert. Sie symbolisiert das Streben nach universaler Erkenntnis des Selbst über fühlende Naturbetrachtung . Motive wie Sehnsucht nach der Ferne oder ein glückliches Leben in idealer Liebesbeziehung werden häufig damit verbunden.

 

4. Rekonstruieren Sie die Großstadtszenerie stichpunktartig, die in den Gedichtausschnitten entworfen wird.

Vormittag : Im Grunewald fahren Vorortzüge ein – Autos rollen über
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Nachmittag : Schornsteine rauchen – Tauben in der Luft -

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5. Weisen Sie die Verwendung der folgenden poetischen Mittel im ersten Teil des Textes nach und erläutern Sie deren Funktion für den Inhalt:

Alliterationen: ____________________________________________________________
Lautmalerei: _____________________________________________________________
Neologismen: ____________________________________________________________
Bilder: __________________________________________________________________
Anapher: ________________________________________________________________
Parataxe: ________________________________________________________________
Prosastil: ________________________________________________________________

 

6. Wie lässt sich zusammenfassend das Verhältnis von Großstadt und Natur in dem gesamten Gedichttext beschreiben? Ziehen Sie zur Beantwortung auch den Eindruck, den das folgende Bild auf Sie macht, hinzu.

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info Verknüpfungen/Intertextualität

Im Zeitalter der Moderne gibt es viele ästhetische Verknüpfungen . So können beispielsweise Maltechniken aus der bildenden Kunst zur Erhellung literarischer Techniken herangezogen werden oder umgekehrt. Bei Bezügen auf andere literarische Werke spricht man von Intertextualität.

Pointillismus

Bildquelle: Nevit Dilmen (cc by-sa 3.0): Gimpressionist 03 istanbul 069 2 nevit.jpg http://commons.wikimedia.org/

 

7. Die vom Künstler angewandte Technik ist an den Pointillismus angelehnt. Suchen Sie im Internet nach einer Definition.

Stefan Zweig

Morgenlicht
Nun wollen wir dem Licht entgegen,
Das um die Purpurwipfel rollt.
Das Leuchten flammt auf allen Wegen
Und wächst und wird zum Morgengold.

Die glutumlohten Tannen singen
Und Jubel bricht aus jedem Klang,
Wie kampfbereites Fahnenschwingen
Braust durch den Wald der Höhensang.

Und lauter werden alle Weisen
Und jedes Wesen sucht sein Lied,
Die Schaffenskraft des Lichts zu preisen,
Das nun ins volle Leben glüht.

(1901)

 

8. Stefan Zweig „malt“ in seinem Gedicht ein pointillistisches Stimmungsbild des „Morgenlichts“. Markieren Sie alle wesentlichen Begriffe, bestimmen und deuten Sie die verwendete Bildlichkeit für die folgenden Strophenthemen:.

Str. 1: „Morgengold“: _________________________________
Str. 2: „Wald“: _________________________________
Str. 3: „Licht“: _________________________________

 

9. Welche Sinneswahrnehmungen stehen in den ersten beiden Strophen im Vordergrund?

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10. Die dritte Strophe verschmilzt die zuvor getrennt wahrgenommenen Sinneseindrücke zu einem Gesamtbild des Morgenlichts. Welche Eindrücke erweckt dieses Bild von der erwachenden Natur beim Leser?

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11. Der Dichter Robert Musil hat die Naturpoesie dieser Zeit 1926 so umschrieben: „Herz spricht zu Herzen, Gefühl zu Gefühl, [...]“ Charakterisieren Sie die Rolle des Lesers und die Funktion, die der Natur dabei zukommt.

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weiter: Bildende Kunst und Ästhetik