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Das Göttliche im Hinduismus und Buddhismus

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

M 3.2 Das Göttliche im Hinduismus

Text 1

Ein und derselbe Mond spiegelt sich
In allen Wassern.
Alle Monde im Wasser
Sind eins in dem einen einzigen Mond.

Indisches Sprichwort, zitiert nach: Hubertus Halbfas, Der Glaube. Erschlossen und kommentiert von
Hubertus Halbfas © Patmos-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern/Düsseldorf, 2010, S. 197

Text 2

Die Upanischaden, eine „Heilige Schrift“ der Hindus, erzählen von einem Gespräch zwischen dem Weisen Yajnavalkya und einem Gläubigen, der wissen will, wie viele Götter es gibt:
„Dreihundert und dreitausendunddrei.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“
„Dreiunddreißig.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“
„Sechs.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“
„Drei.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“
„Zwei.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“
„Eineinhalb.“
„Ja, sicher“, sagte er, „aber wie viele Götter gibt es wirklich, Yajnavalkya?“

Brihadaranyaka-Upanischade 3.9.1, aus: Der Hinduismus: Eine kleine Einführung von Kim Knott,
© 2009 für die deutsche Übersetzung von Ekkehard Schöller, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.KG, Stuttgart

Text 3

Auch folgende Geschichte findet sich in den Upanischaden. Ein Sohn fragt seinen Vater nach dem Geheimnis aller Wirklichkeit.
„Leg dieses Salzkorn in einen Behälter mit Wasser und komm morgen zurück.“ Der Sohn tat, wie ihm befohlen. Am anderen Tag sagte sein Vater zu ihm: „Das Salzkorn, das du gestern Abend ins Wasser gelegt hast – bring es her.“ Der Sohn tastete danach, konnte es aber nicht finden, da es sich vollständig aufgelöst hatte.
„Jetzt nimm ein Schlückchen von diesem Rand“, sagte der Vater. „Wie schmeckt es?“ – „Salzig.“ –„Nimm ein Schlückchen von der Mitte! Wie schmeckt es?“ – „Salzig.“ – Nimm ein Schlückchen vom anderen Rand! Wie schmeckt es?“ – „Salzig.“
„Spuck es aus und komm später wieder!“ Er tat, wie ihm befohlen, und merkte, dass das Salz noch immer im Wasser war. Der Vater erklärte ihm: „Was in diesem Wasser ist, mein Sohn, kannst du nicht greifen, aber es war tatsächlich immer darin. Was dieser feinste Stoff ist, das ist das Selbst dieser ganzen Welt. Das ist die Wahrheit. Das ist das Selbst (atman). Und das bist du.“

Chandogya-Upanischade 6.13, aus: Upanischaden © 1961 für die deutsche
Übersetzung von Paul Thieme, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.KG, Stuttgart

Text 4

Zwei Menschen stritten sich heftig über die Farbe des Chamäleons. Der eine sagte: „Das Chamäleon auf diesem Palmbaum ist von einem schönen Rot.“ Der andere widersprach ihm und sagte: „Du irrst, das Chamäleon ist nicht rot, sondern blau.“ Da keiner seine Meinung beweisen konnte, gingen sie zusammen zu einem Menschen, der unter jenem Baum lebte und lange beobachtet hatte, wie das Chamäleon seine Farbe beständig wechselt. Einer der Streitenden sagte: „Ist nicht das Chamäleon auf jenem Baum rot?“ Der Mann entgegnete: „Ja, Herr.“ Der andere Streitende sagte: „Was? Wie ist das möglich? Bestimmt ist es nicht rot, sondern blau!“ Der Mann gab demütig zur Antwort: „Ja, Herr, es ist blau.“ Er wusste, dass das Chamäleon ständig die Farbe wechselt, deshalb beantwortete er beide Fragen mit „Ja“.

zitiert nach: Hubertus Halbfas, Der Glaube. Erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas
© Patmos-Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern/Düsseldorf 2010, S. 197 f.

Text 5

Wenn die Sonne durch ein buntes Kirchenfenster scheint, zeichnen sich auf der gegenüber liegenden Wand oder auf dem Boden viele verschiedenfarbige geometrische Formen ab. Dies könnte ein Bild sein für die Erfahrung des Göttlichen im Hinduismus. Die vielen farbigen Elemente, die sich unterscheiden, aber alle durch das eine Licht erzeugt werden, sind Ausdrucksformen des einen Göttlichen, das der Hindu als „Brahman“ bezeichnet. „Brahman“ ist der – nicht persönlich vorgestellte – göttliche Urgrund, die letzte Wirklichkeit, der Weltgeist und als solcher hinter allen Erscheinungen der Welt und des Lebens.

Auch die vielen Götter, männliche und weibliche, die im Hinduismus eine Bedeutung haben, sind Erscheinungsformen von „Brahman“. Alles, was in der Natur oder in der Welt mächtig und wirksam ist, kann als Gott oder Göttin verehrt werden. Der Hinduismus kennt eine große, nicht überschaubare Zahl von Gottheiten, deren jede für etwas Bestimmtes zuständig ist. So wird z.B. nach der Regenzeit zu Surya, dem Sonnengott, um gutes Wetter und Wachstum gebetet. Mit diesen vielfältigen Zuständigkeiten der Götter verknüpft ist deren bildliche Darstellung. Das zweite Gebot des Dekalogs „Du sollst dir kein Bildnis machen“ ist im Hinduismus nicht denkbar. Unzählige Abbildungen und plastische Darstellungen verweisen auf die Götter. Vor ihnen wird gebetet, sie werden geschmückt, ihnen wird geopfert. Man glaubt, dass in der Figur Gott anwesend und wirksam ist.

Es ist schwer, allgemein gültige Aussagen über die Götter und ihre Bedeutung im Hinduismus zu machen. Manche verehren zum Beispiel eine Gottheit im nächsten Tempel, um Hilfe in Nöten des Alltags zu erhalten. Für sie ist der Gott in der Statue im Tempel gegenwärtig – wie das möglich sein kann, interessiert diese Menschen gar nicht. Für sie gibt es unzählig viele Götter, die für die verschiedenen Lebensbereiche zuständig sind. Es gibt aber auch viele Gläubige, die über diesen „Alltagsglauben“ hinaus nachdenken. Für sie ist klar: Es gibt nur einen Gott. Die einen von ihnen verehren diesen einen Gott als Vishnu, der immer wieder auf der Erde als ein Helfer der Menschen geboren wird und das übermächtig gewordene Böse in die Schranken weist, indem er Menschen quälende Könige und Dämonen tötet. Am bekanntesten ist seine Wiedergeburt als Krishna. Andere verehren diesen einen Gott als Shiva, der in seinem Tanz die Ordnung (den „Dharma“) der Welt darstellt: Alles entsteht und vergeht auch wieder durch seine Macht; unberührt steht allein der Gott über den Wechseln des Schicksals. Manche Hindus verehren diesen einen Gott auch als die Göttin, die viele Namen hat: Kali, Durga, Parvati. – Immer wieder hat man versucht, zwischen den großen Göttern einen Ausgleich herzustellen, sie alle anzuerkennen. So gibt es Götterstatuen, deren eine Hälfte aussieht wie Vishnu, die andere wie Shiva. Es wurde auch eine Dreiheit von Göttern konstruiert: Brahma, Vishnu und Shiva verkörpern als „Trimurti“ (= drei Gestalten) drei wichtige Aspekte des Göttlichen. Brahma (nicht zu verwechseln mit Brahman) gilt als „Schöpfer“, Vishnu als „Bewahrer“, Shiva verkörpert das Prinzip der Zerstörung. Die verschiedenen Aspekte des Shiva sind hier auf drei Götter verteilt.

Alle Götter sind – wie die ganze Welt und das Leben – dem Samsara, dem Kreislauf des Werdens und Vergehens, unterworfen.

Hindus sind überzeugt, dass das Göttliche im innersten Wesenskern jedes Lebewesens da ist. Brahman, die Weltseele und das All-Eine, ist also im Atman, in der Einzelseele, dem Selbst, gegenwärtig und erfahrbar. Den Atman erkennen bedeutet die Einheit mit dem Brahman zu erfassen. Das ist auch der Sinn des Lebens: Der Mensch weiß sich eins mit dem Göttlichen.

Das Göttliche im Buddhismus

Siddharta Gautama, der Buddha, setzt gegenüber der religiösen Umgebung, in der er aufgewachsen ist, neue Akzente. Dazu gehört, dass er für sein Verständnis von Wirklichkeit keinen Gott und keine Götter braucht. Er bezieht zwar die indische Götterwelt ganz unbefangen in seine Reden ein, diese unterliegt aber wie alles, was zur sinnlich erfahrbaren Wirklichkeit gehört, dem Gesetz des Werdens und Vergehens und ist so endlich und vergänglich. Die Götter haben vor allem für die Befreiung und Erlösung aus diesem Lebensgesetz, was letztlich das Ziel allen menschlichen Strebens ist, keine Bedeutung. Eine ernsthafte Beschäftigung mit der im Alltag verehrten Götterwelt hat wenig Nutzen und bringt den Menschen seinem religiösen Ziel nicht wirklich näher. Buddha richtet sich in seiner Lehre nicht ausdrücklich gegen den Gottesglauben, er bekämpft ihn nicht wie ein überzeugter Atheist, aber die Frage nach Gott ist für ihn kein wirklich wichtiges Thema. Weil für ihn die Welt auf Grund des ewigen Weltgesetzes immer wieder entsteht und vergeht ( samsara ), braucht er keinen Schöpfergott, der am Anfang allen Seins steht, keinen Gott, der die Menschheit durch die Geschichte hindurch begleitet, keinen Richtergott, vor dem sich die Menschen verantworten müssen, und auch keinen Erlösergott, der dem Menschen am Ende der Zeit Erlösung und Heil schenkt.

Buddha redet jedoch mit tiefer Überzeugung von einem Zustand, der außerhalb allen Werdens und Vergehens ist, dem nirvana . Nach der Wortbedeutung heißt es „Verwehen“, „Verlöschen“. Im nirvana ist alle Lebensgier und damit alles Leiden, alle Wiedergeburt und alles Verhaftetsein an die Welt erloschen und aufgehoben. Buddha kann diese Existenzweise nur in Bildern umschreiben. Er sagt einmal: „Es (das Nirvana) ist der Bereich, wo nicht Erde, Wasser, Feuer, Luft ist, wo nicht der Bereich der Unendlichkeit des Raumes oder des Bewusstseins, nicht der Bereich der Nirgendetwasheit noch der Grenze von Unterscheidung und Nichtunterscheidung, nicht diese Welt, nicht jene Welt, nicht Sonne und Mond ist. Das nenne ich nicht Kommen noch Gehen, nicht Feststehen, nicht Vergehen und nicht Entstehen. Ohne Grundlage, ohne Fortgang, ohne Halt ist es. Dies ist das Ende des Leidens.“ Das Nirvana ist in Worten nicht definierbar, es ist etwas Unbegreifliches, Transzendentes, das alle sinnlich fassbare Realität übersteigt. Dies wirft aus der Sicht des christlichen Glaubens sowie der anderen monotheistischen Religionen Judentum und Islam durchaus die Frage auf, inwiefern es zum Buddhismus Parallelen gibt. Eines aber ist festzuhalten: Während bei Buddha dieser letzte, hintergründige Bereich des nirvana etwas wesentlich Unpersönliches (A-Personales) ist, stellen sich die abrahamitischen Religionen Jahwe, Gott und Allah als Wesenheiten vor, zu denen der Mensch eine personale Beziehung entwickeln kann, die er mit „Du“ ansprechen kann.

Aufgaben

  • Stellt die Gleichnis-Texte und den Erläuterungstext zum Hinduismus in Bezug zueinander und gestaltet ein Ergebnis-Plakat zum Thema „Das Göttliche im Hinduismus“. Verwendet als visuelle Grundlage das Bild von dem einen und den vielen Monden.
  • Setzt euch mit der Frage auseinander, ob es berechtigt ist, wenn man dem Hinduismus das Etikett „Polytheismus“ anheftet.
  • Prüft die Behauptung, der Buddhismus sei eine „Religion ohne Gott“.

 

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