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Fazit

...Nichtlineares Unterrichten


Die Klage über mangelnde Nachhaltigkeit des Unterrichtsstoffes ist so alt wie die Lehre selbst.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass die äußeren Umstände des Lernens in den letzten Jahren nicht besser geworden sind. So gibt es z.B. Hinweise darauf, dass die Fähigkeit zum Erkennen von Termstrukturen eng mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen zusammenhängt. Die entscheidenden Grundlagen dazu werden im Vorschulalter durch Bewegung im Raum (Spielen, Toben, ein flacher Bildschirm ist hier kein Ersatz) gelegt. Hierbei mangelt es vielen Kindern heutzutage.

Auch ist der Einfluss des täglichen Computereinsatzes evtl. gerade im Fach Mathematik gravierend: Die Konzentration auf eine regelgerechte und zielgerichtete algebraische Umformung wird durch den Rückstellbutton und die damit verbundenen Try-and-error-Mentalität konterkariert.

Verschlechterte Rahmenbedingungen werden teilweise auch den Bildungsstandards zugeschrieben, v.a. dann, wenn man am vormaligen Unterrichten festhält. Mangelnde Nachhaltigkeit ist nicht zuerst ein Problem von „zu wenig“ Übungszeit (v.a. wenn sich „zu wenig“ an einem durchaus durchgeführten exzessiven Üben bemisst; meine Nachhilfeschülerin musste z.B. nach Einführung des Dreisatzes 32 (!) gleichartige Aufgaben hintereinander rechnen). Meiner Ansicht nach erfordert auch das Vorziehen von Stoffen und das frühe Abstrahieren zumindest partiell ein Umdenken. Vieles kann (zunächst) beispielhaft ohne tiefe Abstraktion und fachliche Exaktheit angegangen und im Sinne eines Spiralprinzips dann schrittweise (über längere Zeiträume) im Niveau angehoben werden. Negative Einflüsse auf die Nachhaltigkeit mathematischen Könnens könnten auch durch die fachliche Ausdünnung und den GTR-Einsatzes entstehen.

Nimmt man eine Vielzahl der Empfehlungen dieses Artikels ernst und berücksichtigt man v.a. die erwähnten lernpsychologischen Gegebenheiten und die Ergebnisse der Hattie-Studie, so kann man zu meinem Gesamtkonzept des Nichtlinearen Lernens kommen.

Der Name soll v.a. die deutliche Abgrenzung von einem linearen Lernen (im Sinne des „Trichterfüllens“ im immergleichen Tempo: Der Zuwachs von Fähigkeiten wächst linear mit der Zeit) signalisieren, ohne dabei zu unterstellen, jemand unterrichtet heute noch so.

Das sind die Unterschiede:

  • Nichtlinearität heißt bewusste Beschleunigung und Entschleunigung. Was die Schüler schon können oder wissen, kann schnell (auch wenn das Buch viele Seiten und Übungen vorsieht) behandelt werden. Themen, die eine ganz neue kognitive Herausforderung bedeuten (wie z.B. die Bruchrechnung), werden in Erarbeitung und Festigung über längere Zeiträume verteilt. Dabei wird v.a. viel Zeit in verständnisaufbauende Übungen mit einfachen Beispielen und Aufgaben gelegt.
  • Lernen erfolgt nie linear, sondern ist vielmehr von konstanten Phasen („Ich blick das einfach nicht!“) Sprüngen („Heureka“) und Brüchen („Ich verstehe das ohne die Hinführung!“) gekennzeichnet.
  • Nichtlinearität bedeutet, bewusst mehrere Unterrichtsstränge gleichzeitig zu realisieren. Neben dem eigentlichen aktuellen Unterrichtsstoff finden stets Wiederaufgreifen von bewusst anderen Themen statt (bei mir mindestens ein Viertel der Unterrichtszeit). Darüberhinaus gibt es auch immer Themen, die „nebenbei“ gelernt werden, ohne auf Hefteinträge und Fachstruktur bzw. –terminologie zu achten. So lernen meine Schüler den Umgang mit bewusst einfachen Brüchen (verschiedene Darstellungen, Erweitern, Kürzen, Addieren) nebenbei spielerisch während der ganzen Klasse fünf, ohne dies im Regelheft zu notieren. Dies wird in Klasse sechs ebenso wie die Fachtermini selbständig nachgeholt.
  • Nichtlinearität heißt bewusstes Vor- und Zurückgreifen. Etwas Unverstandenes kann man durch weiteres Üben nicht verständlich machen, man muss noch einmal in die Erarbeitungsphase und zu einfachen (Zahlen-)Beispielen zurückkehren, auch wenn dies schon Jahre zurückliegt. Genauso wichtig ist es, bei neuen Themen auf das Alte zurückzugreifen und dieses nutzbar zu machen. Damit einher geht auch das Vorgreifen. Insgesamt muss also das Neue „eingebettet“ sein: Was hat das Neue mit dem Alten zu tun? Warum brauche ich das Neue, was konnte ich damals nicht? Was kann ich heute noch nicht? So kann man die quadratischen Gleichungen nur verstehen, wenn man sie
    mit linearen und auch höhergradigen Gleichungen kontrastiert. Lernen geschieht oft dadurch, dass man weiß, um was es sich nicht handelt.
  • Nichtlinearität bedeutet schließlich Individualisierung. Jeder Schüler hat seine eigene Lernkurve, seine eigenen konstanten Phasen, Brüche und Sprünge. Dies muss man methodisch so oft wie möglich berücksichtigen, auch wenn dies eine Herausforderung ersten Ranges ist.

 

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