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5.5. Der Prozess gegen Ill:


von StD Dr. Peter Müller
  1. LSG:
    • Wodurch erhält das Vorgehen gegen Ill den Anschein einer Gerichtsverhandlung? (Richter, Zeugen, Klägerin, Angeklagter, Zeugenaussagen, etc.)
    • Wodurch wird der „Prozess“ fragwürdig bzw. inakzeptabel?
    • Welcher Vergehen hat sich Ill nach bürgerlichem Recht schuldig gemacht?
    • Warum blieb er unbestraft?
    • Welcher Vergehen haben sich der Richter und die Zeugen schuldig gemacht?

 

  1. themengleiche Gruppenarbeit:

Aufgaben:

  • Wie verschafft sich Claire das vom Gericht vorenthaltene Recht?
  • Inwiefern bestätigt sie dadurch schon bekannte Wesenszüge?
  • Wie kann man ihr Vorgehen im Bezug auf ihr persönliches Schicksal erklären?
  • Inwiefern lässt sich Claire als rächende Göttin begreifen?
  • Lesen Sie die Ausführungen über Gesetzgebung bzw. Rechtsempfinden im Alten Testament (Exodus 21, 22 –25 und 34) und stellen Sie Bezüge zu Claires Rechtsverständnis her.
  • Welche Intention verfolgt Dürrenmatt mit der Haltung Claires? Beziehen Sie bei Ihrer Antwort Dürrenmatts Aussagen ein. ( Mat. III über Mythen, S. 6 unten über die schlimmstmögliche Wendung als dramaturgisches Prinzip und S. 7 rechte Spalte über Kapitalismus)

 

  1. Auswertung:

 

Mögliche Ergebnisse :

Anschein einer Gerichtsverhandlung durch:

  • Personal (Richter, Ankläger, Angeklagter, Zeugen)
  • Rituale des Gerichts (Anklage, Zeugenaussagen, Urteil)

Fragwürdigkeit des Prozesses:

  • Prozess ist von Claire inszeniert, nicht von Vertretern des öffentlichen Rechts veranlasst
  • Zeugen wurden Opfer von Verbrechen durch Claire; sind nicht unabhängig, sondern gedemütigt und gekauft
  • Richter ist gekauft, ebenfalls abhängig von Claire
  • Prozess entspringt Selbstjustiz
  • Absicht: nicht Gerechtigkeit, sondern Rache
  • Anklägerin ist unbestrafte Mörderin
  • Gerechtigkeit bzw. Strafe ist käuflich
  • Prozess = Farce

Vergehen Ills:

  • Meineid
  • Anstiftung zum Meineid
  • Verweigerung der Unterhaltspflicht

Zeugen:

  • Unterstützung Ills bei Falschaussagen
  • Täuschung des Gerichts (Hinweis: mit dieser Strategie haben sich Männer nicht selten ihrer Verantwortung (Unterhaltspflichten) entzogen, solange es keine eindeutigen Vaterschaftsnachweise gab).

Richter:
Hat bei Wahrheitsfindung versagt (Oberflächlichkeit, Leichtgläubigkeit beruhend auf klischeehaftem Frauenbild, Männerdominanz vor Gericht)

Resultat:
Freispruch und außerdem Verjährung der Straftaten aufgrund eines eher individuellen, nicht systembedingten Versagens (?). Allerdings ist bekannt, dass sich damals Männer oft mit derselben Strategie ihrer Verantwortung entzogen haben.
Vorgehen von Claire:

  • Beschreitet nicht den ordentlichen Rechtsweg, umgeht diesen bzw. setzt diesen außer Kraft
  • Übernimmt die Tätigkeiten des Gerichts: Korrektur des damaligen Urteils, Aufdeckung der Wahrheit, Bestrafung der Schuldigen, Anklage Ills
  • Entscheidendes Mittel: ihr Reichtum (kauft den Richter; Helfer, die die Schuldigen aufspüren und sie festnehmen)
  • Bestrafung von Schuldigen erscheint als Resultat des Reichtums
  • Zugleich erweist sich Bestrafung als grausame, barbarische Rache: Blendung, Kastration, völlige Unterwerfung; die Rache beinhaltet selbst verschiedene Verbrechen
  • Grundsätzliche Gedanken einer humanen Rechtsprechung gehen dabei verloren bzw. werden nicht beachtet: Milde, Gnade, Verjährung
  • Stiftet zum Mord an und experimentiert mit der Moral der Menschen

Bekannte Züge Claire:

  • Setzt Gesetze außer Kraft
  • Instrumentalisiert Menschen
  • Beherrscht, manipuliert, benutzt Menschen
  • Stellt sich gottgleich über Menschen erscheint als Schicksalsgöttin (Parze – Moira: spinnt den Lebensfaden) und als Todesgöttin (Medea)

neues Element der Gestaltung:

  • Sie erinnert an alttestamentarische Gottheit
  • Gleiches wird mit Gleichem vergolten („Aug um Aug“ = Rechtsverständnis des Alten Testaments)
  • Unrecht soll durch Abschreckung verhindert werden
  • Ihr Begriff von Gerechtigkeit beinhaltet auch Ausrottung des Anderen

Intention Dürrenmatts:

  • Das Stück hat im Sinne Dürrenmatts die „schlimmstmögliche Wendung“ genommen: durch einen Extremfall, eine Katastrophe soll Mensch auf der Bühne möglichst wahr dargestellt werden können
  • Er demonstriert: menschliche Verhaltensweisen sind archaisch geblieben, bleiben hinter der Entwicklung des Verstandes und zivilisatorischer Errungenschaften zurück
  • Mensch hat seine animalische und archaische Grundstruktur beibehalten
  • Moral und Gesellschaftssystem entsprechen diesem archaischen Wesen

 

  1. Fakultativ: Problematisierung bzw. Aktualisierung:
    • Ist die mit der Intention Dürrenmatts verbundene Grundannahme über den Menschen nachvollziehbar?
    • Kennen Sie Beispiele, die Dürrenmatts Auffassung bestätigen? (hier könnten anhand von Zeitungsmeldungen bzw. –berichten Bezüge zur Finanzkrise hergestellt werden)
    • Welche Erfahrungen widersprechen Dürrenmatts Auffassung bzw. stellen diese zumindest in Frage?