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Kapitel 6: Anna Karenina – der unumkehrbare Dreischritt

Vorbemerkung

Um einen Zusammenhang des Handlungsstrangs zu erhalten, ist die Anzahl der folgenden Textstellen zwingend notwendig. Anders als bei den Vergleichsromanen ist Annas Schuld nicht nur deshalb so tragisch, da sie teilweise selbstverschuldet ist, sondern weil sich die Situation so verwickelt hat, dass sie ausweglos erscheint. Letztendlich besteht Annas Ausweg in der Scheidung (sie ist auch Voraussetzung für die neue Eheschließung mit Wronski) – den Anspruch auf ihren Sohn Serjoscha verliert sie, was die neue Situation wiederum tragisch macht – für Anna unerträglich und wiederum aussichtslos. Diese Aussichtlosigkeit steigert sich im Romanverlauf kontinuierlich und führt schließlich am Ende des siebten Teils zu Annas Suizid. (Kapitel 8)

 

6.1 Aus dem Eheleben

Anna trifft am Bahnsteig auf ihren Ehemann (vgl. Kapitel 3 des Unterrichtsvorschlags)

📖 Erster Teil, Kapitel XXX, S. 161: In Petersburg hatte der Zug kaum gehalten und war sie kaum ausgestiegen, da zog als erstes das Gesicht ihres Mannes ihre Aufmerksamkeit an. [...] → S. 162 ... „Ja, wie du siehst, dein zärtlicher Gatte, zärtlich wie im Jahr nach der Eheschließung, hatte das brennende Verlangen, dich zu sehen“, sagte er mit seiner schleppenden dünnen Stimme und in dem Ton, den er ihr gegenüber fast immer anschlug, im Ton des Spotts über diejenigen, die quasi tatsächlich so redeten.

6.2 Verführungen und Warnung

Anna lebt eine Liebe mit allen Konsequenzen. Das erste Aufeinandertreffen zwischen Anna und Wronski findet im Zug nach Petersburg statt. Der Blick entscheidet bereits hier den Umgang zwischen Anna und Wronski und zeigt die subjektive Befindlichkeit. Das quasi Nicht-Darstellbare, Geheimnisvolle wird auf diese Art und Weise kommuniziert.

📖 Erster Teil, Kapitel XXX, S. 159: Sie blickte sich um und erkannte im selben Augenblick das Gesicht Wronskis. [...] → S. 161 ... Gegen Morgen nickte Anna im Sitzen ein, und als sie erwachte, war es bereits weiß und hell und der Zug näherte sich Petersburg.

 

Warnung durch den Ehemann

📖 Zweiter Teil, Kapitel IX, S. 222f.: „Ich möchte dich davor warnen“, sagte er mit leiser Stimme, „dass du aus Unachtsamkeit und Leichtsinn Anlass geben könntest, dass in der Gesellschaft über dich geredet wird. Dein allzu lebhaftes Gespräch heute mit Graf Wronski (er sprach diesen Namen fest und mit ruhiger Akzentuiertheit aus) hat Aufsehen erregt.“

Arbeitsanregung:

Analysieren Sie den Dialog zwischen Anna und Alexej Alexandrowitsch. Berücksichtigen Sie neben dem verbalen Austausch Gestik und Mimik, insbesondere die Rolle der Blicke der Figuren.

📖 Zweiter Teil, Kapitel X (ganz)

📖 S. 226: An diesem Abend begann ein neues Leben für Alexej Alexandrowitsch und für seine Frau. [...] → S.227 Und in diesem Ton ließ sich unmöglich sagen, was ihr gesagt werden musste.

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Arbeitsanregung:

Interpretieren Sie das vorliegende Kapitel X unter Berücksichtigung der vorangegangenen Handlung. Wie ist die Verwendung der Punkte zum Schluss des kurzen Kapitels X zu deuten?

Hinweis: Über zwei Zeilen hinweg erstrecken sich die Punkte. Sie eröffnen einen großen Bedeutungsspielraum – Tolstoi drückt darin den Fall Annas aus: Sie riskiert alles zu verlieren – Familie, Ehemann mit Kind, gesellschaftliches Ansehen und den Status, Vermögen, Verlust der gesamten Existenz.

 

6.3 Ehebruch und kein zurück?

Vorbemerkung

Die folgenden drei Textstellen zeigen nochmals die Differenziertheit der Darstellung von Glück und Unglück: Anna Karenina gerät immer weiter unter Druck, sowohl aus persönlicher als auch aus gesellschaftlicher Sicht. Ihre Ehe gerät immer weiter unter Druck. Sie offenbart Wronski ihre Schwangerschaft, Wronski schlägt einen „Plan“ zur Beendigung der Affäre vor. Die Verdichtung der Thematik soll schlaglichtartig mit den folgenden drei Textstellen beleuchtet werden.

📖 Zweiter Teil, Kapitel XI (ganz)

📖 S. 227 ff.: Was fast ein ganzes Jahr lang für Wronski das einzige und ausschließliche Begehren seines Lebens war und ihm alles frühere Begehren ersetzte, was für Anna ein unmöglicher, entsetzlicher und umso verlockenderer Glücksraum war - dieses Begehren wurde gestillt. [...]→ Aber dieser Traum lastete auf ihr wie ein Alp, und jedesmal erwachte sie mit Entsetzen.

📖 Zweiter Teil, Kapitel XXII, S. 283-S. 287: „Was haben Sie? Ist Ihnen nicht wohl?“ frage er auf Französisch, während er zu ihr ging. [...]→ „Aber sprechen wir doch nicht von ihm“

📖 Zweiter Teil, Kapitel XXIII, S. 287: „Schön und gut, nehmen wir an, ich tue es“, sagte sie. [...]→ S. 289 ... Sprich darüber niemals mit mir. Versprichst du es? Doch, doch, versprich es!“

Arbeitsanregung:

Anna gerät in ihrer Affäre mit Wronski immer mehr unter Druck. Im Gespräch sagt sie „die ganze Erbärmlichkeit, den ganzen Schrecken meiner Lage kenne ich, aber das lässt sich nicht so leicht lösen [...]“ (S. 289) Lesen Sie die vier Textauszüge. In welchem Spannungsfeld sieht sich Anna mit Blick auf sich, die Gesellschaft und Ehe mit Alexej Alexandrowisch Karenin?

Hinweis: Der Arbeitsauftrag erfordert einen differenzierten Blick auf Anna. Der Druck, der durch die Dreiecksbeziehung auf ihr lastet wird immer größer. Es soll die Innenschau der Figur und der Blick von außen – aus der Perspektive von Wronski und Alexej Alexandrowitsch herausgearbeitet und gegenübergestellt werden.

 

6.4 Aufdeckung des Ehebruchs

6.4.1 Reitunfall Wronskis und Annas Offenbarung

📖 Zweiter Teil, Kapitel XXVIII / XXIX, S. 318: Doch in diesem Augenblick starteten die Reiter, und alle Gespräche brachen ab. [...]→ S. 322 ... „Ich muss Ihnen sagen...“ sprach er.

Arbeitsanregung:

Lesen Sie zunächst den Schluss des achtzehnten Kapitels. Interpretieren Sie die Blicke im Hinblick auf die folgende Handlung. Welche stummen Vorwürfe sind in den Blicken und Annas Gedankenzitat: „Ach, das ist mir doch gleich“ bereits enthalten? Hinweis: Die Dramatik der Szene konzentriert sich in der non-verbalen Geste der Blicke. Die Szene während und nach dem Rennen ist dramaturgisch getaktet. Karenins Blick richtet sich nicht auf das Renngeschehen, sondern auf Anna, diese schaut einzig und allein auf Wronski, sodass sie die spätere Anrede ihres Mannes noch nicht einmal bemerkt.

6.4.2 Annas Geständnis und Alexej Alexandrowitschs Verletzung

📖 Zweiter Teil, Kapitel XXIX, S. 322: „Da ist sie, die Aussprache“, dachte sie und ihr graute. [...]→ Ich liebe ihn, ich bin seine Geliebte, ich kann Sie nicht ertragen, ich fürchte, ich hasse Sie... Machen Sie mit mir, was Sie wollen.“ S. 232

Arbeitsanregung:

Interpretieren Sie Annas Geständnis. Welche Gefühlszustände treten zu Tage?

Hinweis: Erlebte Rede, innere Gedankenschau und direkte Aussprache kennzeichnen die Aussprache. Damit wird Anna für den Leser aus verschiedenen Perspektiven gezeigt: Verzweiflung, Resignation, Hass, Unnachgiebigkeit oder Ergebenheit sind beispielhaft Eigenschaften, die Anna hier zugeschrieben werden können. Widersprüchlichkeiten zeigen die Komplexität und betonen die Dramatik der Figur.

📖 Dritter Teil, Kapitel XIII, (ganz) S. 422: Niemand außer den Menschen, die Alexej Alexandrowitsch am nächsten standen, wusste, dass dieser dem Anschein nach äußerst kalte und rationale Mann eine Schwäche hatte, die der ganzen Beschaffenheit seines Charakters widersprach. [...]→ Sie muss unglücklich sein, aber ich bin nicht schuldig und kann deshalb nicht unglücklich sein. (S. 430)

Arbeitsanregung:

Das bisherige Bild von Alexej Alexandrowitsch, das maßgeblich durch die Wahrnehmung Annas geprägt wurde, wird in der vorliegenden Textstelle durch die auktoriale Erzählperspektive und den inneren Gedankenmonolog modifiziert. Überarbeiten Sie Ihre bisherige Charakteristik von Alexej Alexandrowitsch.

Welche Möglichkeiten resultieren für ihn aus Annas Ehebruch? Wie werden diese bewertet?

Hinweis: Alexej Alexandrowitsch wägt die Möglichkeiten von Duell, Scheidung, Trennung oder Beibehaltung des Status quo ab. Hier bietet sich ein direkter Vergleich mit der Reaktion Innstettens aus Effi Briest an.

6.4.3 Anna resümiert ihre Ehe

📖 Dritter Teil, Kapitel XVI, S. 443: Sie hatte morgens bereut, was sie ihrem Mann gesagt hatte, und nur gewünscht, diese Worte wären gleichsam nicht gesagt worden. [...]→ S. 445 ... Doch in der Tiefe ihrer Seele spürte sie bereits, dass sie außerstande sein würde, irgendetwas zu zerreißen, außerstande, diese bisherige Lage zu verlassen, wie verlogen und ehrlos sie auch sein mochte.

Arbeitsanregung:

Lesen Sie die Textstelle und erweitern Sie die Charakterisierung von Anna.

 

6.5 Folgen

Alexej Alexandrowitschs Erwartung an Anna

📖 Dritter Teil, Kapitel XXIII, S. 485: Nicht alle Ehefrauen sind so gütig wie Sie, ihren Ehemännern eine derart unangenehme Nachricht schnellstmöglich mitzuteilen. [...] → S. 468 ... Er verneigte sich schweigend und ließ sie vor.

Anna bei Wronski über ihren Ehemann

📖 Vierter Teil, Kapitel III, S. 564: „Er?“ sagte sie spöttisch. [...]→ S. 547 Reden wir nicht darüber, besser nicht!“

Annas Streit mit ihrem Ehemann

📖 Vierter Teil, Kapitel IV, S. 550: Sie hatte seine Forderung nicht erfüllt, er musste sie nun bestrafen und seine Drohung vollstrecken, also die Scheidung verlangen und ihr den Sohn wegnehmen. [...]→ S. 554 ... Alexej Alexandrowitsch wurde feuerrot, entriss ihr seine Hand und ging schweigend aus dem Zimmer.

Arbeitsanregung:

Lesen Sie die drei Textstellen und stellen Sie die Entwicklung der Folgen des Ehebruchs für Anna dar.

 

6.6 Anna und Wronski in Italien: Neuanfang oder Retardierung der Dramatik?

📖 Fünfter Teil, Kapitel VIII ganz, S. 699-703.

[Es geht darin um die Rückkehr nach Russland, Annas Sehnsucht nach ihren Sohn und ihre Liebe zu Alexej Wronski.]

📖 Sechster Teil, Kapitel XXIV, S. 963: „Um so mehr müsstest du deine Situation in Ordnung bringen, wenn möglich“, sagte Dolly. [...]→ Wenn jemand unglücklich ist, so bin ich es“, stieß sie hervor, wandte sich ab und begann zu weinen.

Arbeitsanregung:

Lesen Sie die beiden Textstellen. Inwiefern erlebt Anna in Italien eine Zeit des Glücks? Worin besteht die Brüchigkeit ihres Glücks?

 

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