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M 9 Erweiterung und Überleitung zum Teilstandard (8): Modernisierungsverlierer? Mittelstandsbewegung und der Couponhandel

Couponhandel wurde – wie der zeitgleich ablaufende Versandhandel auch – von den Handels- und Gewerbekammern, die sich als Massenorganisationen im ausgehenden 19. Jahrhundert gebildet hatten, um die Interessen der mittelständischen Betriebe zu verteidigen, vehement bekämpft.
Der Couponhandel in den Gella- und Hydra-Kaufhäusern war jedoch 1899, aufgrund des zugrundeliegenden Schneeball-Effekts, bereits nach wenigen Monaten zum Erliegen gekommen. Bereits im August 1899 beantragte der Gründer des Hydra-Kaufhauses, Leopold Behrend, Insolvenz. Sein Schwager Louis Grand, der in München eine Filiale gegründet hatte, konnte diese ebenfalls nur über den Sommer 1899 am Laufen halten. In Bayern, wo kurz zuvor der Landtag die höchste Warenhaussteuer im Kaiserreich beschlossen hatte, war der Widerstand gegen das Hydra-System allemal am größten. Sowohl in der Presse als auch durch Justiz und Polizei wurde heftig gegen den Hydra-Handel polemisiert.
Zitate und Abbildungen bei Spiekermann:

https://uwe-spiekermann.com/2020/01/10/gierige-kaeufer-und-unlautere-geschaefte-aufstieg-und-ende-des-gella-und-hydra-handels-im-kaiserreich/

Die Branchenverbände forderten vom Staat Schutz oder gar Staatshilfen, doch galt im Kaiserreich eine liberale Reichsgewerbeordnung, die sich massiven Regulierungsmaßnahmen, wie sie die Mittelständler forderten, widersetzte. Der Frust und die Aggressionen in dieses Kreisen wuchs:
„Beides mündete […] `überfluteten´ es.“
„Relevanter aber […] verschont geblieben sind` (Handels-Zeitung für die gesamte Uhren-industrie 7, 1900, S. 61).“
Eine noch größere Bedrohung ging für den Mittelstand durch den Versandhandel aus. Nach dem Zusammenbruch des Gella- und Hydrahandels florierte hier der Gutscheinhandel weiter, meist auf Uhren, Goldschmuck und Fahrräder konzentriert – und dies nicht nur in den Warenhäusern und damit im Dunstkreis der Großstädte. Dadurch erfolgte, so Spiekermann, ein weiterer Abstraktionsprozess:

„Diese zweite Phase […] Namen reale Personen.“
„Die deutlich abgeschwächte […] Warengruppen nahe.“

Die mittelständischen Betriebe wehrten sich, indem sie sich zu Händlervereinigungen und bürgerlichen Vereinen zusammenschlossen und Flugblätter verteilten. Sie bekamen auch durch die lokale Presse Schützenhilfe, nicht zuletzt, weil diese auf die regelmäßigen Annoncen der lokalen Händler angewiesen war.
Auch appellierten sie immer wieder an die, an sich mittelstandsfreundlich gewogenen, Regierungen, um dem Gutscheinhandel einen Riegel vorzuschieben. Doch wurde 1900 ein Antrag der Zentrumsabgeordneten Adolf Gröber, Ernst Lieber und Franz von Pichler auf Verbot des Gutscheinhandels im Reichstag nicht einmal beraten. Auch Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst verwies darauf, dass die Strafgesetze bislang keine Handhabe gegen den Gutscheinhandel bieten.

„Dies war typisch […] mittelständischen Interessenvertretern.“

Auch die liberale Presse karikierte diese Art des Lobbyismus von Mittelstandsvertretern und Politikern
Siehe dazu:
Karikatur aus den „Lustigen Blättern“ 15, 1900, Nr. 40, S. 10 zum Vorsprechen der Mittelstandsvertreter beim preußischen Finanzminister Johannes von Miquel, Abbildung bei Spiekermann:

https://uwe-spiekermann.com/2020/01/10/gierige-kaeufer-und-unlautere-geschaefte-aufstieg-und-ende-des-gella-und-hydra-handels-im-kaiserreich/

Die Versandhändler gingen schließlich so weit, mittels Preisrätseln Uhren sogar zu verschenken, so etwa das schweizerische Versandhaus „Engler & Co“ aus dem thurgauischen Kreuzlingen. Interessenten mussten im Gegenzug jedoch Preisrätsel gegen Bezahlung in ihrem Bekanntenkreis verkaufen. Das Unternehmen generierte somit neben Geld noch Kundendaten, die es an andere Versandgeschäfte weiterverkaufte.  Durch eine „juristische Posse“ (Spiekermann) konnte nun der Gutscheinhandel gestoppt werden. Das Schneeballsystem wurde von einer neuen Vertriebsform zu einem Glücksspiel „umdefiniert“, einer vom Zufall abhängigen Ausspielung, und somit gelang es dem ersten Strafsenat des Reichsgerichtes auf Druck der Mittelstandsvereinigungen am 14.02.1901, den Gutscheinhandel als eine genehmigungspflichtige Vertriebsform - der fortan einfach keine Genehmigungen mehr erteilt wurde - auszuhebeln.

„Diese Entscheidung […] von unangemessener Gier.“
„Die Gerichtspraxis […] von Käufen auf Geldtransaktionen.“
„Es war bezeichnend […] der Gerichte abzutreten. “

Alle Zitate siehe: https://uwe-spiekermann.com/2020/01/10/gierige-kaeufer-und-unlautere-geschaefte-aufstieg-und-ende-des-gella-und-hydra-handels-im-kaiserreich/

→ Arbeiten Sie aus M 9 heraus: Welche Reaktionen der Mittelstandsvereinigungen erfolgten auf den Gutscheinhandel?
Waren die Mittelstandsvereinigungen Modernisierungsverlierer? Erörtern Sie! Beziehen Sie auch das Historikerurteil aus M 7 mit ein!

 

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