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Kunstwissenschaftliche Methoden


Kunstwissenschaftliche Methoden der Werkbetrachtung

Die Erläuterung der folgenden kunstwissenschaftlichen Methodenansätze erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ebensowenig ist sie als einzig gültige Ausformulierung dieser Methoden gedacht. Vielmehr soll ohne Hierarchisierung die Bandbreite plausibler Zugangsmöglichkeiten zu einem Kunstwerk aufgezeigt und inhaltlich erklärt werden.

Im Unterricht werden nie alle methodischen Ansätze didaktisch verwertet. Die Methoden sind je nach Zielsetzung des Unterrichts, eng gebunden an Alter, Kenntnisstand und Verarbeitungsvermögen der Schüler bewusst auszuwählen und partiell zu vertiefen.


Der struktur- oder formalanalytische Ansatz

„Kunst ist Sprache, nichts als Sprache, doch eine Sprache eigener Art und Struktur, anders als die begriffliche (...), und eine Sprache ist da, um verstanden zu werden.“
(Hans Sedlmayr, 1978)

Im struktur- oder formalanalytischen Ansatz werden die Gesetzlichkeiten eines Kunstwerkes untersucht. Das Kunstwerk und dessen konstituierende Gegebenheiten sind Gegenstand dieser Untersuchung.

Es werden sowohl die handwerklich-technischen als auch die bildnerisch-formalen Dimensionen betrachtet, analysiert und auf ihre Deutung hin ausgelotet. Der strukturanalytische Ansatz versucht also eine Bestandsaufnahme der Erscheinung des Werkes im Einzelnen und im Gestalthaften als Voraussetzung für die Interpretation . Formaler Bestand und dessen Wirkung auf den Betrachter sind in engem Zusammenhang zu sehen.

Die formale Untersuchung kann beschreibend und sprachlich erklärend, oft aber besser und angemessener in non-verbaler Analyse erfolgen. Objekt dieser Analyse sind alle bildnerischen Elemente des Kunstwerkes und ihr Zusammenwirken (z.B. Punkt, Linie, Fläche, Farbe oder Material, Form, Volumen; Komposition, bildnerische Ordnung, ...).

„Was der Künstler aus dieser Fülle des Sichtbaren auswählt und wie er es für die Darstellung der Wirklichkeit nutzt, wie er es umformt, wie er beispielsweise die realen Gegenstände als Bildgegenstände, die reale Figur der Gegenstände als Bildfigur, die reale Ausdehnung als Bildraum und Bildkörperhaftigkeit, die reale Farbe als Bildfarbe, das reale Helldunkel als Bildhelldunkel, die reale Bewegung als Bildbewegung und die realen Beziehungen und Zusammenhänge als bildhafte Beziehungen und Zusammenhänge darstellt, das hängt alleinig ab von dem, was er zum Ausdruck zu bringen beabsichtigt.“
(Günther Regel, 1986)


Der stilanalytische Ansatz

„Stilus“ bedeutet „Schreibgriffel“ und meint damit die persönliche Handschrift in Form und individueller Eigenart des Ausdrucks. Stil (Handschrift) ist dem Künstler, der Gruppe, der Gesellschaft eines Zeitraumes eigen; die besondere Form des Ausdrucks, die das Werk eines Künstlers in Raum und Zeit charakterisiert, die Eigenart in der Auseinandersetzung mit Welt sind Gegenstände der Stilanalyse. Sie untersucht die jeweils übereinstimmenden, formalen Ausprägungen in der Unterschiedlichkeit der Kunstwerke . Gemeinsamkeiten in der Vielfalt künstlerischer Formensprache werden festgestellt, es wird versucht zu generalisieren und zusammenzufassen.

Da sich Stile sowohl im Werk des Individuums als auch im Laufe der Zeit wandeln, entsteht die Frage nach dem Grund des Wandels. Die Stilanalyse steht somit in engem Zusammenhang mit historischen, philosophischen, ikonografischen Fragestellungen, die die Eigenart der Bildsprache beeinflussen.

Durch vergleichende Betrachtung ergeben sich Erkenntnisse über jeweils typische Ausprägungen einer Bildsprache: Zeitstil (Renaissance, Barock,...), Stil in Abhängigkeit einer Weltanschauung (Idealismus, Realismus), Stil einer Schule (Echternacher Buchmalerei, Schule von Barbizon, ...), Stil eines Kunstraums (Schwäbische Malerei, fränkische Schnitzplastik, englische Gotik), Stil einer Gemeinschaft („Brücke“, Gruppe Zero,...), Individualstil (van Gogh, Cézanne,...) aber auch Phasenstil (Picassos 'Blaue Periode').


Der hermeneutische Ansatz

„Hermeneutik“ (von griech. Hermeneueia = etwas aussagen, auslegen, übersetzen) begreift sich ganz grundsätzlich als Kunst der Interpretation von Texten, im weiteren Sinne des Verstehens von Sinngehalten aller möglichen Art bis hin zu einer allgemeinen Theorie des Verstehens .

Um in der Kunst ein Bild zu verstehen, muss der Interpret auf das Ganze hinschauen, andererseits darf er zum Ganzen nur durch das Verstehen des Einzelnen gelangen.

„Es soll versucht werden (ein Kunstwerk) zu betrachten und von nichts zu reden, was nicht zu sehen und was nicht zu verstehen ist. Das Experimentelle dieses Versuchs liegt in der Grundeinstellung einer Unvoreingenommenheit. (...) Voraussetzung unseres Versuchs ist, dass man nicht sagt: 'Das kann ich auch malen, zeichnen oder bilden.' Man muss immer sehr genau unterscheiden zwischen dem, was man technisch, mit der Hand oder auch mit instrumentellen Hilfsmitteln oder Werkzeugen machen kann und dem, was man erfinden kann. Viele von uns können mathematische Regeln anwenden - wohl kaum einer von uns könnte sie erfinden.“
(Max Imdahl, 1979)

Dieser methodische Ansatz erfordert also genaues Hinsehen und ein unvoreingenommenes Analysieren des Gesehenen. Die „Ikonografie“ (nach Erwin Panofsky) befasst sich mit der Analyse und Interpretation der Bildgegenstände :

„Die Ikonografie ist eine begrenzte und gewissermaßen dienende Disziplin, die uns darüber informiert, wann und wo bestimmte Themen durch bestimmte Motive sichtbar gemacht werden“
(Erwin Panofsky)

Mikrokosmos und Makrokosmos eines Werkes rücken wechselweise in den Brennpunkt des Interesses (sog. 'Hermeneutischer Zirkel'). Nur aufgrund des Sichtbaren können Feststellungen getroffen und festgehalten werden.


Der semiotische Ansatz

Der semiotische Ansatz spürt die Zeichenbedeutung in Bildern auf (Semiotik, griech. = Lehre von den Zeichen, Zeichentheorie). Zeichen dienen der Verständigung, Zeichen existieren nicht für sich alleine, sie sind wie die Objekte, auf die sie verweisen, in größere Zusammenhänge eingebunden. Man weiß um die Bedeutung bestimmter Zeichen, Zeichen vergangener Kulturen oder fremder Völker können irritieren, bis ihre Bedeutung entschlüsselt ist.

Panofsky unterscheidet zwischen 'Ikono grafie ' und 'Ikono logie ':

„Denn wie das Suffix 'graphie' etwas Deskriptives (also Beschreibendes) bezeichnet, so benennt das Suffix 'logie' - abgeleitet von logos, das Denken oder Vernunft bedeutet - etwas Interpretatorisches. (...)

Ikonologie ist mithin eine Interpretationsmethode, die aus der Synthese, nicht aus der Analyse hervorgeht.“
(Erwin Panofsky)

Hier besteht ein enger Zusammenhang mit dem hermeneutischen Ansatz: der Feststellung und Analyse der Inhalte eines Werkes folgt beinahe zwangsläufig ihre Einordnung in das Ganze und die Verfolgung der Spuren ins Allgemeingültige und Immer-Wieder-Kehrende , auch ins Symbol :

„Wenn zwei Freunde für längere Zeit oder für immer voneinander schieden, so zerbrachen sie eine Münze, ein Tontäfelchen oder einen Ring; kam nach Jahren jemand von der befreundeten Familie zurück, so konnten die zusammengefügten Teile (symballein = zusammenfügen) bestätigen, dass der Träger des einen Bruchstücks wirklich Anspruch auf die Gastfreundschaft besaß. Das Symbol ist also ein 'Zusammengefügtes', in dem ein sonst nicht wahrnehmbarer Sinngehalt manifestiert wird. (...) Das Symbol steht stellvertretend für eine geistige Realität, die in ihr wahrnehmbar wird. Das Symbol ist ein sichtbares Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit (...). Im Äußeren offenbart es das Innere, im Körperlichen das Geistige, im Sichtbaren das Unsichtbare.“
(aus 'Wörterbuch der Symbolik', S. 551 f.)

Beim hermeneutischen und semiotischen Ansatz ist vergleichende Werkbetrachtung hilfreich.


Der biografisch-psychologische Ansatz

Erlebnisse in der Kindheit, überhaupt Ereignisse, Schicksalsschläge, Wendepunkte, Schübe und Zustände in der individuellen Entwicklung eines Künstlers schlagen sich in seinem Schaffen nieder.

Kunst erklärt sich jedoch nicht nur aus dem biografischen Hintergrund , vor dem sie entsteht. Sie erklärt sich ebenso aus der Zeit, aus den sozialen, politischen, kulturellen und ästhetischen Grundbedingungen und Prägungen , in denen ein Künstler lebt.

Beim biografisch-psychologischen Interpretationsansatz müssen andere Quellen (Biografie, Zeitberichte, Tagebücher, Bilddokumente, etc.) herangezogen werden. Aus Informationen, die außerhalb des Werkes liegen, lassen sich Schlüsse für die Entstehung des Werkes überhaupt oder für die besondere gestalterische Ausformung eines Werkes ziehen.

Dieser Ansatz führt zunächst von der direkten Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk weg, leitet aber wieder zu einer intensiven Beschäftigung mit der Arbeit des Künstlers hin, lässt bisweilen erst Kunstwerke authentisch erschließen und macht darüberhinaus mit den 'normalen' Umständen eines Künstlerlebens vertraut.


Der sozial-historische Ansatz

führt über historische Kenntnisse und gesellschaftliche Situationsbeschreibungen direkt zum Werk.

Kunstwerke enthalten Mitteilungen über ihre Zeit. Die künstlerisch-ästhetische Botschaft ist in der Form aber auch in ihrem Inhalt unterschieden von der sprachlichen oder dokumentarischen Mitteilung der „Geschichte als wissenschaftlicher Disziplin“:

„Die Malerei (wie alle Kunst) wählt aus dem Allgemeinen das aus, was sich am besten für ihre Zwecke eignet: In einer einzigen, der Einbildungskraft entsprungenen Figur vereint sie Umstände und Eigenschaften, die in der Natur auf viele verteilt sind, und erst einer solchen geistvollen Verbindung entspringt jene glückliche Nachahmung, durch die der gute Künstler den Titel eines Erfinders und nicht den eines servilen Kopisten erringt.“
(Francisco de Goya, 1799)

Kunstwerke sind also nur in seltenen Fällen als historische Dokumente im engeren Sinne zu verstehen.

Jeder Künstler ist jedoch, -wie alle anderen auch-, ein 'Kind seiner Zeit'. Politische Probleme, gesellschaftlicher Status, geistige und bildnerische Prägungen, Sehnsüchte, philosophischer und technischer Fortschritt und Rückschlag prägen jede künstlerische Arbeit und finden in ihr Ausdruck.

Erst die Kenntnis des gesellschaftlich-historischen Umfelds des Künstlers beleuchtet sein Werk endgültig, lässt kritische Fragen aufkommen, Problemlösungen am Werk entwickeln und somit eine weiterführende Bewertung und Einordnung vornehmen.


Der experimentelle Ansatz

ermöglicht alle erfolgversprechenden Zugangswege zu einem Kunstwerk.

Das vom Lehrer inszenierte 'Experiment' schafft große Freiräume, schließt gleichzeitig aber 'Irrwege' oder 'Sackgassen' mit ein. Fehltritte sind nicht vergebens. Insbesondere Schüler entwickeln sehr schnell ein Gespür dafür, wenn etwas sinnlos wird oder so abwegig ist, dass es nicht mehr der Sache dient. Dies kann fruchtbar zur Rückführung an das Werk genutzt werden.

Beim experimentellen Ansatz ist alles erlaubt, was spielerisch einer Kunst-Erfahrung, einer kritischen Auseinandersetzung oder einer gesteigerten Identifikation mit dem Werk dient.


Eine Auswahl von Unterrichtsmethoden:

  • Storyboard: zu der Situation im Werk wird sprachlich oder bildnerisch eine Geschichte entwickelt (z.B.„Vorher-Nachher“; unmittelbare Identifikation mit dem Kunstwerk, Aktivierung der Fantasie)
  • Satzsteg: Zwischen zwei Kunstwerken wird ein Steg aus Schreibblättern gelegt. In jedem Satz, der zu den Bildern auf den Steg geschrieben wird, müssen beide Werke miteinander verglichen werden. Der anschließende Satz beginnt mit dem letzten Wort des vorangegangenen Satzes (besonders beim Museumsbesuch geeignet).
  • Nachspielen des Werkes (u.U. aufwändig wegen Requisiten, Kostümen, etc.) Es können jedoch auch nur Haltungen, Gruppenkonstellationen 'trocken' nachgestellt werden. Dies bewirkt eine körperlich erfahrbare Einfühlung in das Dargestellte.
  • Fünf-Sinne-Check: Ein Kunstwerk wird wie ein Appell an unsere fünf Sinne untersucht: Was sieht man, was könnte man hören, schmecken, riechen, fühlen?
  • „Ecriture automatique“: Denkdiktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft (nach André Breton). Vor einem Werk schreibt man alles auf, was einem einfällt, Sätze, Wörter, Laute. Sobald der Schreibfluss stockt, wird der letzte Gedanke, das letzte Wort wiederholt, bis sich ein neuer Gedanke einstellt.
  • „Chinesischer Korb“ oder „Wiener Mélange“ : Aus einem verdeckten Korb mit allerlei Gegenständen ziehen die Betrachter einen Gegenstand heraus und bringen diesen mit einem Kunstwerk in Verbindung (z.B. im Museum). Es muss begründet werden, warum diese Zuordnung erfolgte (Bezüge zu Thema, Material, Technik, Bildgegenständen, Aussage, ...)
  • Bilder zum Bild / Material zum Werk sammeln: das prozesshafte Vorgehen ermöglicht vielfältige Aktionen, Denk-, Gestaltungs- und Interpretationsansätze. Die Sammlung eröffnet unerwartete bildnerische Möglichkeiten und führt zu phänomenologischem Denken und Gespür (Langzeitprojekt, Ausstellung, Präsentation).
  • Bilder abmalen, nachmalen, (fotokopieren und) übermalen fördert das Bildgedächtnis ('bildnerischer Wissensvorrat'). Der praktische Akt fordert bildnerisches Handeln, statt kognitiver Reflexion, verbindet mit dem Agieren des Künstlers, macht seine gestalterischen Problemstellungen bewusst und direkt erfahrbar, lässt die persönliche „Inbesitznahme“ von Kunst zu.


Werkbetrachtungspraktikum

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