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Stilübungen: Die Beschäftigung mit dem Stil

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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Als Stilübungen bezeichnet man die Übersetzung neusprachlicher Texte ins Lateinische und Altgriechische als Teil des Studiums der Klassischen Philologie. Ziel ist ein tieferes Verständnis der antiken Sprache durch den aktiven Gebrauch, das dann die Analyse und Interpretation originaler Texte erleichtern und verbessern soll.

Stilübungen ist auch der Titel eines Buches des französischen Dichters und Schrift­stellers Raymond Queneau (1903-1976), das 1947 unter dem Titel Exercises de Style in Paris erschien und erstmals 1961 von Ludwig Harig und Eugen Helmlé ins Deutsche übersetzt wurde. Darin wird eine Geschichte 99 Mal auf unterschiedliche Weise erzählt: Ein Wortwechsel zwischen zwei Männern im Bus, der von einem dritten beobachtet wird, der den ersten später woanders im Gespräch mit einem vierten sieht. Variiert werden beispielsweise Perspektive, Register, Dialekt, Form oder Stilmittel.

Ähnlich verfährt Friedrich Christian Delius in seinem Buch Die Minute mit Paul McCartney , 2005 in Berlin erschienen. Am Anfang steht eine Eilmeldung vom 9. März 1967: In einem Londoner Park habe der Hund von Paul McCartney zwei deutsche Studenten gebissen; der Beatle sei daraufhin geflohen und dabei von einer Gruppe junger Mädchen verfolgt worden. So stand es am 11. März 1967 im Daily Mirror . Vor der Gegendarstellung des Ereignisses durch Paul McCartney am Ende stehen 64 „Memo-Arien“, in denen die Geschichte in immer wieder neuen Varianten erzählt wird. Auch hier werden zum Beispiel Perspektive, Register und Form variiert.

In diesem Zusammenhang sei auch noch Andreas Thalmayrs Wasserzeichen der Poesie oder die Kunst und das Vergnügen Gedichte zu lesen in hundertvierundsechzig Spielarten erwähnt, das 1985 in der von Hans-Magnus Enzensberger herausgegebenen „Anderen Bibliothek“ erschien. Von den beiden anderen Bänden unterscheidet es sich dadurch, dass nicht ein Text immer wieder neu erzählt wird, sondern viele verschiedene Texte vorgestellt, teilweise variiert, teilweise gegenübergestellt werden. Auf diese Weise veranschaulicht Thalmayr (hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Enzensberger) Aspekte des Stils.

Was bedeutet das nun für den Deutschunterricht?

Stilkompetenz erwirbt man durch die analytische und produktive Beschäftigung mit Stil. Wie im Studium der alten Sprachen kann man sich zunächst analytisch mit Stil beschäftigen und diesen dann produktiv umsetzen, indem man ihn imitiert. Bei den Stilübungen geht es nicht nur darum, zu üben, sondern auch auszuprobieren und zu spielen. Die Bände von Queneau und Delius können eine Anregung sein, wie eine Umsetzung im Unterricht aussehen könnte.

Einige Vorschläge dazu:

  1. Die Schüler und Schülerinnen erhalten einen Erzählkern oder einen Text, den sie nach bestimmten stilistischen Vorgaben ausgestalten oder umgestalten sollen. Diese Vorgaben müssen so gemacht sein, dass die Schüler und Schülerinnen die Aufgabe bewältigen können. Dem Schreibauftrag muss also gegebenenfalls eine Phase der Analyse oder Begriffsklärung vorausgehen, damit klar ist, welche Anforderungen an den Stil gestellt sind.

Dieses Verfahren der Variation wenden auch Queneau und Delius in den beiden erwähnten Büchern an. Erzählkerne lassen sich leicht konstruieren oder finden sich auf der Seite „Vermischtes /Aus aller Welt“ in der Tageszeitung.

  1. Die Schüler und Schülerinnen erhalten eine stilistische Vorgabe, die sie umsetzen sollen, wenn sie einen Text schreiben. Zu diesem Text können unter Umständen weitere formale oder thematische Vorgaben gemacht werden. Hier gilt bezüglich der stilistischen Vorgaben das Gleiche wie oben. Thematische und formale Vorgaben sollten so gestaltet sein, dass die Schüler und Schülerinnen damit etwas anfangen können. Sie sollten keine Hürden darstellen, sodass die Schüler und Schülerinnen sich auf die stilistische Gestaltung konzentrieren können.
  2. Die Schüler und Schülerinnen erhalten einen (echten) literarischen oder pragmatischen Text, den sie nach bestimmten Vorgaben stilistisch bearbeiten oder verfremden sollen. Von Vorschlag 1 unterscheidet sich diese Aufgabe darin, dass es sich um einen authentischen Text handelt, der nicht eigens für die Stilübung verfasst wurde. Variante: Die Schüler und Schülerinnen erhalten einen literarischen Text im Original und in einer verfremdeten Fassung. Sie sollen vergleichen und begründet vermuten, welcher Text stilistisch besser und /oder das Original ist.
  3. Die Schüler und Schülerinnen erhalten eine deutsche Übersetzung eines fremdsprachlichen Textes, der Fehler enthält, mit der Aufgabe, den Text sprachlich und stilistisch zu verbessern (nach Spinner 1990: 39).

Solche Texte lassen sich vor allem im Ausland an touristischen Zielen finden. Es ist empfehlenswert, nicht nur die deutsche, sondern auch die englische und /oder ursprüngliche Fassung des Textes zur Verfügung zu stellen, damit die SchülerInnen bei Verständnisschwierigkeiten in einer anderen Version nachlesen können.

Was leisten diese Verfahren im Einzelnen?

„Man sieht nur, was man weiß“, könnte auch hier gelten. In allen Vorschlägen geht es um die Wirkung bestimmter stilistischer Mittel, die man nur erkennt, wenn man sie bewusst wahrnimmt. Besonders deutlich wird dies im Vergleich. Deswegen ist es zu empfehlen, kontrastiv zu verfahren, indem man bestimmte stilistische Merkmale bzw. deren Abwesenheit gegenüberstellt.

Das Ganze kann zwar als Spiel betrieben werden, das nur die kreative Tätigkeit zum Ziel hat. Sehr häufig werden derartige Stilübungen aber dazu dienen, bestimmte stilistische Merkmale zu veranschaulichen und zu untersuchen, stehen daher also in einem ganz konkreten Unterrichts­zusammen­hang, etwa beim des Schreiben von Texten oder bei der Beschäftigung mit Literatur, und haben damit eher dienende Funktion.

Weitere Anregungen finden sich auch im Artikel „Stilübungen“ von Kaspar H. Spinner sowie bei Wolfgang Malischewski, der in seinem Aufsatz „Spaß am unkonventionellen Stil“ zeigt. wie man Beschreibungen stilistisch so gestalten kann, dass die SchülerInnen Freude am Schreiben haben.

 

Literatur

Delius, Friedrich Christian : Die Stunde mit Paul McCartney. Memo-Arien. Berlin: Transit, 2005.

Malischewski, Wolfgang : Spaß am unkonventionellen Stil. In: Praxis Deutsch 126 (1994),
S. 49-50.

Queneau, Raymond : Stilübungen . Aus dem Französischen von Ludwig Harig und Eugen Helmlé. Frankfurt: Suhrkamp, 1990. (BS 1053)

Spinner, Kaspar H .: Stilübungen . In: Praxis Deutsch 101 (1990), S. 36-39.

Thalmayr, Andreas : Das Wasserzeichen der Poesie oder Die Kunst und das Vergnügen Gedichte zu lesen. Nördlingen: Greno, 1985. (Die Andere Bibliothek)

 

Einführung: Herunterladen [docx] [150 KB]

Einführung: Herunterladen [pdf] [69 KB]