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Material 3

Freund oder Feind

„Ich muss jetzt weiter“, sagte ich endlich zu dem Jungen. „Bevor es dunkel wird. Sonst verlaufe ich mich womöglich.“

„Wo wohnst du denn?“

„Da vorn, das gelbe Haus. Die 93. Rechts.“

Ich ärgerte mich im selben Moment, dass ich rechts gesagt hatte. Erstens wusste ich nicht wirklich, ob es rechts war oder nicht doch eher links, und zweitens liegt gegenüber der Häuserzeile das alte Urban-Krankenhaus, lang gestreckt wie eine schlafende Katze und man erkennt sofort, dass das kein Wohnhaus ist.

Der Junge schaute an meinem ausgestreckten Arm entlang. Als er die 93 sah, rutschte seine Stirn erst rauf, als wäre ihm gerade eine tolle Erleuchtung gekommen oder so was, und dann wieder runter, als würde er gründlich über etwas nachdenken.

Zuletzt wurde seine Stirn wieder ganz glatt und er grinste. „Du bist wirklich doof, oder? Wenn man etwas direkt vor Augen hat und nur gerade ausgehen muss, kann man sich unmöglich verlaufen.“

Immerhin stimmte die Straßenseite. Trotzdem wurde ich langsam sauer. „Ach ja? Ich kann das. Und wenn du wirklich so schlau wärst, wie du behauptest, wüsstest du, dass es Leute gibt, die das können.

„Ich-‚‘‘

„Und ich sag dir noch was. Es ist kein bisschen witzig!“ Alle Bingokugeln waren auf einmal rot und klackerten durcheinander. „Ich habe mir nicht ausgesucht, dass aus meinem Gehirn manchmal was rausfällt! Ich bin nicht freiwillig dumm oder weil ich nicht lerne!“

„Hey, ich –‘‘

„Aber du bist ja wohl eins von den Superhirnen, die alles wissen und dauernd mit irgendwas angeben müssen, weil sich nämlich sonst keiner für sie interessiert, außer wenn sie im Fernsehen Geige spielen!“

Es ist total peinlich, Aber wenn ich mich heftig über etwas aufrege, zum Beispiel Ungerechtigkeit, fange ich an zu heulen. Ich kann überhaupt nichts dagegen machen. Der Junge kriegte ganz erschreckte Augen unter seinem Sturzhelm.

„Jetzt wein doch nicht! Ich hab das gar nicht so –‘‘ (…)

Jetzt sagt der Junge gar nichts mehr. Er guckte runter auf seine Sandalen. Dann guckte er wieder hoch. Seine Lippen waren ganz dünn geworden. Er streckte eine Hand aus. Sie war so klein, dass sie doppelt in meine passte.

„Ich heiße Oskar“, sagte er. “Und ich möchte mich aufrichtig bei dir entschuldigen. Ich hätte mich nicht über dich lustig machen dürfen. Das war arrogant.“

Ich hatte keine Ahnung, was er mit dem letzten Wort meinte, aber die Entschuldigung hatte ich verstanden.

aus: Andreas Steinhöfel, Rico, Oskar und der Tieferschatten, Carlsen Verlag, S.34-36
  1. Lest den Textauszug und redet darüber, ob hier eine gute Freundschaft beginnt und je nach eurer Antwort, woran ihr das erkennt.
  2. Habt ihr selbst Freundinnen/Freunde, die eher anders sind als ihr, manches nicht können, was ihr könnt oder umgekehrt? Gebt Beispiele, wie ihr damit umgeht.

 

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