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Sokrates, Text 4

Der folgende Ausschnitt aus Platons Werk Laches soll einen Eindruck vermitteln von der Art, wie Sokrates seine Gespräche führte, und Aufschluss darüber geben, wonach Sokrates auf der Suche war.

Zur Einführung:

Lysimachos und Melesias wollen ihren beiden Söhnen die bestmögliche Erziehung zukommen lassen, damit sie tüchtige Männer werden. Von Nikias, einem erfolgreichen Politiker und General, und Laches, der sich ebenfalls als Feldherr ausgezeichnet hat, werden sie auf Sokrates verwiesen.

Das griechische Wort für Tüchtigkeit ist arete. Wörtlich könnte man es mit „Bestheit“/“Bestsein“ übersetzen; denn aristos ist der Beste (Aristo-kratie also ursprünglich die Herrschaft der Besten). Übliche Übersetzungen im Deutschen neben Tüchtigkeit sind Vortrefflichkeit, Tugend, Tugendhaftigkeit. Arete war in der athenischen Demokratie eine wichtige Wertvorstellung, worin aber arete konkret bestehe, war nicht eindeutig geklärt. Wenn aber die Söhne von Lysimachos und Melesias zur Tüchtigkeit erzogen werden sollen, dann, so Sokrates, müsse man doch das Ziel kennen, also den Begriff arete (im Folgenden mit Tugend wiedergegeben) zuerst definieren. Damit die Aufgabe nicht zu schwer wird, einigt sich Sokrates im Gespräch mit Laches darauf, nicht sofort den Begriff Tugend insgesamt zu untersuchen, sondern sich zunächst auf einen Teilbereich der Tugend zu konzentrieren. Die Wahl fällt auf die Tapferkeit. Dafür müsste Laches als erfolgreicher Feldherr eigentlich Fachmann sein.

Sokrates im Gespräch mit Laches:

S: Versuche also nun zu sagen, was Tapferkeit ist.

L: Bei Zeus, das ist nicht schwer zu sagen, Sokrates: Wenn einer bereit ist, seine Position in der Schlachtordnung einzuhalten und die Feinde abzuwehren, und nicht flieht, dann ist er gewiss tapfer.

S: Gut sprichst du, Laches; aber vielleicht habe ich nicht klar genug gefragt und bin daran schuld, dass du anders geantwortet hast, als ich selber gedacht habe.

L: Wie meinst du das?

S: Ich werde es dir erklären, wenn ich kann. Tapfer ist auf jeden Fall der, von dem auch du sprichst, der seine Position einhält und gegen die Feinde kämpft.

L: Allerdings behaupte ich das.

S: Auch ich tue das. Aber wie steht es nun mit dem, der seine Position nicht hält und auf der Flucht gegen die Feinde kämpft?

L: Wie auf der Flucht?

Im Folgenden verweist Sokrates auf Beispiele aus der Militärgeschichte, die belegen, dass Soldaten auch auf der Flucht sich als tapfere Kämpfer erweisen können.

L: Da hast du recht.

S: Es lag also an meiner ungenauen Frage, dass du nicht richtig geantwortet hast. Ich wollte dich ja nicht nur nach den Tapferen im schwerbewaffneten Fußvolk fragen, sondern im gesamten Kriegswesen, und nicht nur dort, sondern auch nach denen, die  in den Stürmen des Meeres, die in Krankheit und Armut, in der Poltik tapfer sind, ferner auch nach denen, die nicht nur gegenüber Schmerzen und Ängsten tapfer, sondern auch fähig sind, gegen Begierden und Lüste anzukämpfen – es gibt doch auch in diesen Bereichen, Laches, einige Tapfere.

L: Allerdings.

S: Diese alle sind also tapfer, aber die einen beweisen Tapferkeit gegenüber den Versuchungen der Lust, die anderen gegenüber den Schmerzen, andere gegenüber den Begierden, wieder andere gegenüber Ängsten; die Furchtsamen aber zeigen in eben diesen Situationen ihre Feigheit.

L: Genau so ist es.

S: Was ist nun jede von diesen beiden Eigenschaften (Tapferkeit und Feigheit)? Das ist meine Frage. Versuche also noch einmal zuerst von der Tapferkeit zu sagen, was an ihr in all diesen Fällen dasselbe ist. Oder verstehst du noch nicht, was ich meine?

L: Noch nicht ganz.

Platon, Laches 190e-191e, teilweise gekürzt; Übertragung: Karlheinz Glaser

Im weiteren Verlauf des Gespräches schaltet sich auch Nikias mit einem klugen Definitionsversuch ein, aber auch seine Definition der Tapferkeit kann den kritischen Fragen des Sokrates nicht standhalten, so dass die Diskussion nach vielen Versuchen in der Aporie („Ausweglosigkeit“), d. h. ohne Ergebnis endet.

  1. Beschreiben Sie auf der Grundlage dieses kurzen Dialogausschnittes das Verhalten des Sokrates im Gespräch und vergleichen Sie damit, was Sie aus Text 2 [Aufgabe a)] zur Gesprächsführung des Sokrates herausgearbeitet haben.
  2. Sokrates war Sohn einer Hebamme. Er nannte seine Methode der Gesprächsführung Maieutik, d. h. Hebammenkunst. Erläutern Sie, was damit gemeint ist.
  3. Erklären Sie, weshalb Sokrates mit dem Definitionsversuch des Laches nicht zufrieden ist, und helfen Sie Laches zu verstehen, was Sokrates meint (= welche Anforderungen er an eine Definition stellt).
  4. Entwerfen Sie zusammen mit einem Mitschüler/ einer Mitschülerin selbst einen solchen „sokratischen“ Dialog zu einem anderen Thema, z. B. zu der Frage: Was ist Gerechtigkeit? Eine erste Definition könnte z. B. lauten: Gerechtigkeit besteht in der Einhaltung der Gesetze.

    Als Abwandlung zu den von Platon überlieferten Dialogen des Sokrates sollten bei Ihnen beide Gesprächspartner ebenbürtig sein und sich im Gespräch miteinander an eine immer genauere Definition des gewählten Begriffes annähern. Sie sollten also einander gegenseitig „Hebamme“ sein und durch ständiges Weiterentwickeln und respektvolles Hinterfragen Ihrer Definitionen vorankommen.

 

„Die philosophische Wende“: Sokrates: Herunterladen [docx][37 KB]

„Die philosophische Wende“: Sokrates: Herunterladen [pdf][331 KB]

 

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