Zur Hauptnavigation springen [Alt]+[0] Zum Seiteninhalt springen [Alt]+[1]

Material 1

Christliche Ethik und der Nächste1

Evangelische Ethiken nehmen Bezug auf die reformatorische Entdeckung, die Luther bei Paulus machte: Die Rechtfertigung des Menschen vor Gott. Der Mensch wird von Gott gerechtfertigt und dies entlastet den Menschen davon, sich vor Gott etwas verdienen zu müssen, z.B. durch sog. „gute Werke“. Christen handeln daher nicht aus einem Kalkül2 heraus, um mit guten Taten vor Gott etwas zu verdienen. Das veränderte Gottesverhältnis des Glaubenden bewirkt, dass der Nächste um seiner selbst willen in den Blick gerät. Die Nächstenliebe ist für die christliche Ethik daher kein deontologisches Prinzip, im Sinne einer Pflicht der Liebe. Aus dem Glauben heraus vollzieht sich eine Lebensgestaltung, die Gott, sich selbst und den Nächsten als Bezugsgrößen in den Blick nimmt, im Sinne der Antwort Jesu an die Pharisäer in Mk 12,29-31.

Die Frage „Wer ist mein Nächster?“ beantwortet Jesus im sog. Samaritergleichnis (Lk 10,25-37) nicht durch eine allgemeine Charakterisierung von Menschen. Jesus erzählt eine Geschichte. Das Wort „Nächster“ bezeichnet nicht eine bestimmte „Klasse“ oder „Menge“ von Menschen mit bestimmten Eigenschaften oder Merkmalen, wie z.B. „die Armen“ im Gegensatz zu „die Reichen“. Mit „der Nächste“ wird also nicht eine Allgemeinheit bezeichnet, sondern „ein noch unbestimmtes, ein generalisiertes Individuum, das als Einzelfall in vielen Individuen einem begegnen kann.“3 Die liebende Handlung zielt immer auf einen konkreten, einen jeweils in der speziellen Situation einem begegnenden Menschen, mit seinen je eigenen Bedürfnissen. Beim Hören der Geschichte vom barmherzigen Samariter entsteht ein Bild beim Zuhörer, das ihn in die Lage versetzt, die in der erzählten Situation geschilderten Individuen in vielen anderen Individuen in Alltagsituationen wiederzuerkennen. Dadurch wird eine Haltung erzeugt, wodurch der Glaubende zum Nächsten für den jeweils anderen wird.

Arbeitsauftrag

Erklärt, was Nächstenliebe bedeutet und inwiefern es das Handeln von Christen bestimmt.

 

Christliche Ethik und christliches Ethos

Die Formulierung „Christliche Ethik“ könnte so verstanden werden, als gäbe es „die“ christliche Ethik. Diesem Missverständnis kann insofern begegnet werden, dass es ebenso wenig „das“ Christentum oder „den“ christlichen Glauben gibt. Es gibt unterschiedliche christliche Konfessionen mit unterschiedlichen ethischen Ansätzen. Für die römisch-katholische Kirche könnte man u.U. von „der katholischen Ethik“ sprechen, sofern man damit auf die römisch-katholische Soziallehre verweist. Im Protestantismus ist es komplizierter, da der Grundsatz des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen eine hierarchisch-dogmatische Struktur nicht zulässt. Daher redet man im Protestantismus auch von Sozialethik, genauer von evangelischen Sozialethiken. Neben der genuin protestantischen Divergenz4 gibt es natürlich auch Versuche einer Vereinheitlichung.

Allen christlichen ethischen Positionen gemeinsam ist die Anbindung an den Glauben an Gott, an Jesus Christus und die Bibel. Daher ergibt sich die Frage nach christlich-ethisch relevanten Bibelstellen, die für die Ausbildung eines christlichen „Ethos“, einer christlichen Haltung bei ethischer Urteilsbildung maßgeblich sind.

Arbeitsauftrag

Vergleiche christliche Ethik und philosophische Ethiken und untersuche, was christliches Ethos bedeutet.

 

1 sinngemäß nach Johannes Fischer u.a.: Grundkurs Ethik. Kohlhammer, Stuttgart 2.Aufl. 2008, S.305ff.

2 Kalkül = Berechnung

3 Kursbuch Religion, Sekundarstufe II, Basiswissen, 2014, S.102

4 = Unterschiedlichkeit

 

Material: Herunterladen [docx][42 KB]

 

Weiter zu Material 2