Zur Hauptnavigation springen [Alt]+[0] Zum Seiteninhalt springen [Alt]+[1]

Zusatzmaterial

Christliche Ethik – evangelische Ethik

„Der Ausdruck „christliche Ethik“ bezeichnet ethisches Nachdenken auf dem Hintergrund der christlichen Überlieferung, und zwar sowohl innerhalb dessen, was „Theologie des Glaubens“ genannt wurde, als auch als wissenschaftlich-theologische Reflexion. Der Ausdruck „evangelische Ethik“ bezeichnet eine bestimmte konfessionelle Ausprägung christlicher Ethik. Der Ausdruck „theologische Ethik“ [wird] für die wissenschaftlich-ethische Reflexion im Rahmen christlicher oder evangelischer oder einer konfessionell anders bestimmten Ethik reserviert.“ […]

„Wenn man von evangelischer oder protestantischer Ethik spricht, dann meint man damit, wie gesagt, eine bestimmte konfessionelle Ausprägung christlicher Ethik. Sie grenzt von anderen konfessionellen Ausprägungen ab, und das betrifft insbesondere die katholische Moraltheologie. Man darf sich darunter nichts Monolithisches vorstellen. Vielmehr gibt es auch innerhalb der evangelischen Ethik unterschiedliche Ausprägungen, nämlich – im mitteleuropäischen Raum – einerseits solche, die in der lutherischen Tradition stehen, und andererseits solche, die in der reformierten Tradition stehen. Innerhalb der reformierten Tradition lässt sich noch einmal unterscheiden zwischen Ausprägungen, die in der Tradition der Zürcher Reformation (Zwingli) stehen, und solchen, die in der Tradition der Genfer Reformation (Calvin) stehen. Die evangelische Ethik ist also durch Vielgestaltigkeit gekennzeichnet. [Um das Gemeinsame der …] verschiedenen Ausprägungen evangelischer Ethik […] in den Blick zu bekommen, muss man zurückgehen zu den Anfängen des Protestantismus, d.h. zur Reformation. Auslösend für die Reformation war – wie Luther dies im Rückblick selbst beschrieben hat - eine Entdeckung, die Luther bei Paulus gemacht hat und die die Beziehung von Gott und Mensch betrifft. Danach ist das rechte Gottesverhältnis des Menschen nicht in seinen „Werken“ begründet, d.h. in dem, was er tut, sondern allein im Glauben im Sinne des vorbehaltlosen Vertrauens (fiducia) auf Gottes Gnade und Vergebung. […] Man hat für diese Auffassung der Beziehung von Gott und Mensch den Namen „(Protestantische) Rechtfertigungslehre“ geprägt. […]

„Wenn das Gottesverhältnis im Glauben gründet, dann sind die Werke davon entlastet, dass der Mensch sich mit ihnen vor Gott etwas verdienen muss. Sie können ganz und ungeteilt um des Nächsten willen geschehen. Darin liegt eine radikale Entmoralisierung des Handelns, und sie kann als ein Grundzug evangelischer Ethik gelten: Ein Christenmensch tut, was er tut, nicht deshalb, weil es als gut bewertet wird – sei es durch Gott oder durch die Menschen – oder weil es als gut zu bewerten ist, sondern um des Nächsten willen bzw. aus Liebe zu Gott und dem Nächsten.“ […] Diese Fokussierung auf die Person verbindet sich mit einem konsequentialistischen Grundzug evangelischer Ethik, insofern das Handeln am Nutzen des Nächsten, also an den Folgen orientiert ist. Allerdings ist sie nicht in dem Sinne konsequentialistisch, dass eine Handlung ihr Gutsein vom Gutsein der Folgen her bezieht, wie dies z.B. beim Utilitarismus der Fall ist. Vielmehr bezieht sie ihr Gutsein von der im Glauben sich vollziehenden Erneuerung und Ausrichtung der Person her.“

[… D]ie protestantische Rechtfertigungslehre [führt] zu einer Verlagerung der Frage nach dem Guten vom Werk auf die Person. Dies ist als Subjektivierung des Ethischen beschrieben worden in dem Sinne, dass die „Konstitution des ethischen Subjekts“ in den Mittelpunkt theologisch begriffener Ethik rückt.“

„[Das gebrochene] Verhältnis des Protestantismus zum Naturrecht [… unterscheidet …] die protestantische Ethik von der katholischen Moraltheologie, in der dem naturrechtlichen Denken […] eine ausschlaggebende Bedeutung für die ethische Urteilsbildung zukam. Allerdings muss hier einschränkend hinzugefügt werden, dass in der späteren lutherischen Ordnungstheologie der Gedanke der natürlichen „Ordnungen“ eine ähnliche Funktion übernommen hat wie der Begriff der „Natur“ im naturrechtlichen Denken.“

(Johannes Fischer u.a.: Grundkurs Ethik. Kohlhammer, Stuttgart 2.Aufl. 2008, S. 305-306; 310-311; 314; 316)

Verhältnis theologischer Ethik und der Umgang mit der Bibel

„Was das Verhältnis der theologischen Ethik zu [dem Umgang mit der Bibel betrifft, so ist die Bibel] kein Steinbruch, aus dem sich mit biblizistischen Begründungen und Argumenten für die Lösung jedes gegebenen ethischen Problems versorgen kann. Das widerspräche nicht nur der Komplexität der heutigen Lebenswirklichkeit, deren ethische Fragen die Bibel zum großen Teil nicht kannte. Es widerspräche auch dem protestantischen Verständnis der Bibel, wonach diese nicht einfach eine Sammlung von Aussagen oder Regeln ist, aus denen logisch Argumente und Lösungen für die ethischen Probleme der Gegenwart deduziert werden können, sondern vielmehr etwas, dem gegenüber allein die Einstellung des „Hörers“ – fides ex auditu (Glaube kommt aus dem Hören) – angemessen ist, d.h. das im eigenen Leben resonant werden will und das über diese Resonanz sittliche Erschließungskraft für die eigene Lebensführung gewinnt. Dies wird gewissermaßen übersprungen, wenn aus biblischen Aussagen als ersten logischen „Prämissen“ direkt Handlungsanweisungen für die Probleme der Gegenwart deduziert werden.“

(Johannes Fischer u.a.: Grundkurs Ethik. Kohlhammer, Stuttgart 2.Aufl. 2008, S.324)

 

Material: Herunterladen [docx][42 KB]

 

Weiter zu Sich aufs Spiel setzen