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Bedeutung von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Wie kann erwachsenengerechtes Lernen aussehen?

Wenn man einen Religionslehrer/ eine Religionslehrerin nach ihrem heutigen Unterricht fragt, wird er/ sie vermutlich antworten: „In der Kursstufe 1 habe ich die Reich-Gottes-Botschaft“ gemacht, in der Kursstufe 2 haben wir die Sozialprinzipien behandelt.“ Vielleicht wird er noch anfügen: „Wir haben die Zusammenfassung von längeren theologischen oder philosophischen Texten geübt.“ An diesen Beispielen kann man erkennen, dass die Kolleginnen und Kollegen in der Regel den behandelten Stoff im Blick haben, möglicherweise noch die geübten Methoden. Der Unterricht kann somit im Extremfall zu reiner Stoffvermittlung werden, damit die Schülerinnen und Schüler im Abitur Inhalte reproduzieren und auf bestimmte konkrete Fragestellungen anwenden können. Der Lernprozess der einzelnen Schülerinnen und Schüler, der zeigt, wie sie die Informationen verarbeiten und welcher Kompetenzzuwachs eintritt, wird in der Regel nicht bewusst wahrgenommen. Wie sich die religiöse Kompetenz konkret entwickeln kann und wie dies im Religionsunterricht begleitet und angestoßen werden kann, wird in der Regel kaum reflektiert. Es stellt sich also die Frage, wie sich die einzelnen Teilkompetenzen und ihr spezifisches Zusammenspiel in einer religiösen Kompetenz entwickeln und wie die Lehrkraft diese Entwicklung anstoßen, beobachten und begleiten kann.

Die neuere Lerntheorie hat gezeigt, dass der Erwerb von Kompetenzen ein hochkomplexer Vorgang ist. Ein Bildungsprozess – so die Bildungstheorie – ist ein Prozess des Sich- Bildens, wobei „Sich-Bilden heißt, sich die bildenden Kräfte der Natur, der Kultur, der Wissenschaft, der Religion zu erschließen.“ [1] Der Schüler/die Schülerin bildet sich also selbst, er / sie ist nicht passiver Adressat eines vorgegebenen Stoffes, den er/ sie rein passiv rezipiert. Ohne die Eigenleistung des Schülers/ der Schülerin und sein/ ihr aktives Handeln ist keine Bildung möglich [2] . In einer aktiven und individuellen Auseinandersetzung mit den Lerninhalten geschehen – so die konstruktivistische Lerntheorie - im Gehirn der Schülerin/ des Schülers aktive Konstruktionsprozesse, in denen neue Eindrücke bereits vorhandene Konstruktionen perturbieren und in Assimilations- und Akkomodationsprozessen neue Konstruktionen entstehen, die sich in viablen Theorien zur Lösung konkreter Herausforderungssituationen konkretisieren. Für den konkreten Lernprozess bedeutet dies, dass Lernen nur individuell geschehen kann und sich auch nur diejenigen Kompetenzen weiterentwickeln, die sich mit bereits vorhandendem Wissen (Vorwissen) verbinden lassen. Kumulatives und aufbauendes Lernen ist somit von großer Bedeutung – insbesondere in der Kursstufe, bei der fast alle behandelten Inhalte bereits vorhandene Wissensbestände und Konstruktionen ergänzen oder perturbieren. [3]

Die konkreten inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen, wie sie beispielsweise im Bildungsplan 2001/ 2004 und in den EPA beschrieben werden, ihr konkretes Zusammenspiel in einer religiösen Kompetenz bilden sich in einem solchen komplexen und aktiven Lernprozess heraus. Hierbei entwickeln sich die prozessbezogenen Kompetenzen an konkreten Inhalten, die erworbenen inhaltlichen Kompetenzen werden erst durch die prozessbezogenen Kompetenzen fassbar. Die Performanz der inhaltlichen Kompetenzen ist an die prozessbezogenen Kompetenzen gebunden, ebenso wie prozessbezogenen Kompetenzen nur im Zusammenspiel mit einem Inhalt konkret werden können. Dieses Zusammenspiel von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen kann an folgenden Beispiel deutlich werden: Ein Schüler/ eine Schülerin erlebt z.B. in einer Unterrichtssequenz zur Religionskritik zunächst eine Perturbation des eigenen kindlichen Gottesbildes („Wieso sollte Gott nicht existieren?“), in der Auseinandersetzung mit Feuerbach und seinen Kritikern geschieht ein Konstruktionsprozess, an dessen Ende ein reflektierteres Gottesbild steht, das beispielsweise auch die Infragestellung der Existenz Gottes nicht ausklammern muss. Dieses Gottesbild, das in der aktiven Auseinandersetzung mit Inhalten erworben wurde, wird fassbar und konkret in den prozessbezogenen Kompetenzen, so wie die EPA sie beschreiben. So wird der Schüler/ die Schülerin – nach der Auseinandersetzung mit den von der Lehrkraft ausgewählten Inhalten zu Religionskritik und Theodizeefrage - möglicherweise die Problematik eines vereinfachten Gottesbildes erkennen und benennen können (Wahrnehmungs- und Darstellungsfähigkeit), religiöse Traditionen wie z.B. Bittgottesdienste und Wettersegen aus ihrer Entstehungszeit her verstehen und erklären können (Deutefähigkeit) und sie aus der Sicht der modernen Theologie und des Verhältnisses zwischen Glaube und Wissenschaft beurteilen können (Urteilsfähigkeit) sowie – wenn nötig – ein angemessenes Gebet in einer eigenen oder fremden persönlichen Notlage formulieren können (Gestaltungsfähigkeit).

Hier wird deutlich, dass nur die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten und ihre bewusste Reflexion die verschiedenen prozessbezogenen Kompetenzen schult. Die religiöse Kompetenz ist also das Ergebnis eines aktiven Lernprozesses wie ihn Bildungstheorie und konstruktivistische Lerntheorie beschreiben. Der Prozess des Sich-Bildens an den Inhalten wird konkret in den prozessbezogenen Kompetenzen der EPA, die die Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit entwickeln sollen. Dieser Prozess dauert nicht nur – wie unser Beispiel vielleicht vermuten lassen könnte – eine Unterrichtssequenz – sondern durchzieht die gesamte Schulzeit, innerhalb derer die einzelnen inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen immer wieder altersgemäß erweitert, verändert, vertieft und in unterschiedlichen Kontexten erprobt werden.

 

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[1] Die bildende Kraft des Religionsunterrichts, S. 26.
[2] Vgl. Hilger, Ziebertz: Wer lernt? – Die Schülerinnen und Schüler als Subjekte religiösen Lernens, S. 178.
[3] Vgl. zu den theoretischen Grundlagen des kompetenzorientierten Lernens: Was ist kompetenzorientierter Religionsunterricht, S. 10-16.

 

Kompetenzorientierter Religionsunterricht in der Kursstufe: Herunterladen [pdf] [411 KB]