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Gen 3,1-24 Hubertus Halbfas

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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Die Weiterführung der Erzählung 3,1-7 entstammt einem vordem selbständigen Erzählelement, das sich märchenhafter Motive bedient: Ein Tier, hier ist es die Schlange, beginnt zu sprechen; eine Frucht soll weise machen. Alles, was darauffolgt, findet sich bereits im Garten mit dem „Baum in der Mitte“ angelegt. Der Jahwist hat aus einem breiteren Spektrum älterer Traditionen jene ausgewählt, die ihm geeignet schienen, die Vertreibung aus dem Paradies darzustellen. Da von den ersten Menschen erzählt wird, dem Urpaar, in dem sich alle Menschen wiederfinden, konnte kein anderer Mensch das verführende Gespräch aufnehmen. Allein dieser Umstand kann bereits den Rückgriff auf die Schlange erklären. Sie wurde gewählt, weil sie als klug gilt (vgl. Mt 10,16). In der Erzählung hat sie lediglich die Funktion, das Gespräch zu führen. Sie wird nicht dämonisiert, verkörpert nicht den Teufel, ist kein Widerpart Gottes, sondern dessen Geschöpf (V 1). Dass es überhaupt Verführung zum Unrechten gibt, bleibt als Rätsel stehen.

Die Formel von „gut und böse“ zielt auf eine Ganzheit. Gut und Böse zu erkennen, heißt, knapp gesagt, Weisheit erwerben, durch Unterscheidung des Förderlichen vom Abträglichen lebenstüchtig werden. Die theologischen und philosophischen Lasten, die dieser Formel im Laufe der Geschichte aufgeladen wurden, bleiben dem Charakter der Erzählung fremd. Das Versprechen, durch ein Essen von den Früchten des Baumes, zu „sein wie Gott“ (V 5), lässt sich aus dem Wesen des „Baumes in der Mitte“ erklären: er verkörpert die Dimension des Unverfügbaren. Die Übertretung der gesetzten Grenzen trägt zugleich den „Verlust der Mitte“ in sich. Wenn die Frau „dem Mann bei ihr“ auch zu essen gibt, so ist dies keine Verführung. Die Auslegungsgeschichte hat diesen Aspekt über  „und er aß“, was heißen soll: Es bedurfte gar keiner „Verführung“, er machte einfach mit. Die Gemeinschaft von Mann und Frau kann wie im Guten eine Gemeinschaft in der Verfehlung sein. Doch in der Folge „schämen sie sich voreinander“. Was hat sich damit verändert? Verloren ging die Unbefangenheit, in der sie sich in ihrer Nacktheit nicht bewusst waren. Was bislang richtig war, ist nun falsch. Aber dass sie dies nun wissen, ist zugleich Positives. Die Erkenntnis von Verfehlung und Sünde kann auch zu größerer Reife und Weisheit führen.

Wurde 3,1-7 von einem Vergehen erzählt, so schließt sich nun ein zweiter Teil an, der von dessen Ahndung handelt (3,8-24). Bis zum V 19 ist die Erzählung kompakt, der Schluss 20-24 dagegen nicht einheitlich, sondern aus verschiedenen Fragmenten zusammengesetzt. In der christlichen Auslegungsgeschichte hat die Frau in Gen 3 eine sehr belastende Deutung gefunden. Besonders der Strafspruch V 16, dass sie unter Schmerzen Kinder gebären soll, wurde jahrhundertelang so aufgefasst, dass diese Schmerzen eine verdiente Strafe für den „Sündenfall“ seien (wenngleich der Text selbst weder von Sünde noch Sündenfall spricht). Man hat diese Worte – als auch das Wort von der Herrschaft des Mannes über die Frau – sogar als Gebot aufgefasst, statt als Beschreibung eines Unheilszustandes, der überwunden werden muss. So galten unter Berufung auf Gen 3,16 bis in die neueste Zeit Bemühungen um eine schmerzarme Geburt als der göttlichen Ordnung widersprechend. Aber man hat sich nicht gleichzeitig unter Berufung auf V 17-19 gegen die Einführung von Traktoren und Motorsägen gewandt, die den dort vorgesehenen Schweiß verringern.

Hinter der gesamten Komposition Gen 2-3 steht die Problematik der menschlichen Existenz: Warum ist der von Gott geschaffene Mensch ein von Verfehlung, Sünde, Mühe, Leid und Tod begrenzter Mensch? Die biblische Antwort zielt auf Existenzerhellung, nicht auf ein Geschehen, das sich zu Beginn der  Menschheitsgeschichte ereignete und alle späteren Zeiten „erbsündig“ gemacht hätte. Das hier handelnde Menschenpaar verkörpert die Menschheit insgesamt; dessen Geschichte ist eine Geschichte, die sich zu allen Zeiten und in allen Menschenleben immer wieder ereignet.

(Aus: Die Bibel : Erschlossen und kommentiert von Hubertus Halbfas. Düsseldorf 2001, S. 58f.) © Patmos Verlag der Schwabenverlag AG, Ostfildern 6. Auflage 2011, Gen 3,1-24, S. 58f.)

 

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Gen 3,1-24 – Erschlossen und Kommentiert von Hubertus Halbfas:
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