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Typische Probleme des Unterrichts

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Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.


Typische Probleme des Unterrichts in der Kursstufe aus der Sicht der Lernpsychologie

Kolleginnen und Kollegen, die viel Erfahrung im Unterricht in der Kursstufe haben, werden wissen, dass die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler in der Abiturprüfung nicht immer den eigenen Vorstellungen entsprechen, manchmal sogar regelrecht enttäuschend sind. Auch wenn sicherlich viele mäßige Leistungen auf mangelnde Motivation und mangelndes Interesse der Schülerinnen und Schüler, manchmal auch auf eine nicht sehr hohe Begabung zurückzuführen sind, lassen sich einige typische Probleme der Oberstufendidaktik mithilfe der Lernpsychologie gut erklären.

(1) Häufig können Schülerinnen und Schüler in Klausuren Faktenwissen gut wiedergeben, sind aber mit dem Transfer und der Reorganisation überfordert. Es bereitet ihnen beispielsweise keinerlei Schwierigkeiten, die Sozialprinzipien zu nennen und zu erläutern, eine Anwendung auf ein konkretes Fallbeispiel überfordert jedoch einen großen Teil des Kurses. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass die Schülerinnen und Schüler Unterrichtsinhalte als träges Wissen lernen, das Wissen also zwar „gewusst“ wird, aber nicht für Analyse, Synthese und Beurteilung zur Verfügung steht. Im Unterricht könnte die Lehrkraft daher verstärkt Phasen einplanen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich – in Methoden und Sozialformen, die jeden einzelnen herausfordern (z.B. Kooperatives Lernen) – jeweils mit dem Stoff auseinandersetzen und konkrete Probleme lösen müssen [1] .

(2) In der Regel verfügen Schülerinnen und Schüler nicht mehr über das Wissen früherer Schuljahre. Selbst einfache fachliche Kompetenzen, die sich auf ein solides Basiswissen beziehen, sind oft problematisch, obwohl sie in Klassenarbeiten überprüft und durchaus beherrscht wurden [2] . Auch dieses Phänomen lässt sich lernpsychologisch erklären: Nur, was nicht nur einmal gelernt wird, sondern mehrfach wiederholt wird, bleibt dauerhaft im Gedächtnis [3] . Für die Unterrichtsplanung ergibt sich somit die Notwendigkeit, immer wieder Phasen der Wiederholung auch bereits vor längerer Zeit vermittelter fachlicher und methodischer Kompetenzen einzufügen und hierbei auch bewusst auf den Lernstand jedes einzelnen Schülers/ jeder einzelnen Schülerin zu achten und ihm/ ihr gezielt binnendifferenzierte Lernangebote zu machen.

(3) Lehrkräfte machen häufig die Erfahrung, dass einzelne Themen und Inhalte den Schülerinnen und Schülern große Probleme machen und bei einigen kaum „ankommen“. So gibt es nahezu in jedem Kurs Schülerinnen und Schüler, die auch nach der Behandlung des Themenfelds Bibel im Standardzeitraum 9/10 und einer ausführlichen Unterrichtssequenz zu Wissen und Glauben Schwierigkeiten haben, die symbolische Sprache der Bibel zu verstehen und entweder auf der Historizität der biblischen Schöpfungslieder beharren oder aber sie als Argument für einen unüberwindbaren Gegensatz zwischen dem christlichen Glauben und einem modernen wissenschaftlichen Weltbild sehen. Diese Problematik lässt sich damit erklären, dass in einem Lernprozess sehr alte und emotional besetzte Schemata nur schwer zu pertubieren sind. Dies könnte z.B. erklären, warum vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler sich mit der historisch-kritischen Methode schwer tun und an kindlichen Vorstellungen von der Wahrheit der Bibel festhalten - dies entweder in einer naiv-gläubigen Form („Gottes Existenz könnte man beweisen, wenn er noch mal ein Wunder tun würde“) oder betont kritisch („Gott hat wohl kaum die Welt in sieben Tagen geschaffen.“). Für die langfristige Unterrichtsplanung, das aufbauende und kumulative Lernen bedeutet dies ferner, dass vor allem bei den Aspekten, bei denen es ausgeprägte „alte“ Konstruktionen aus der Kindheit und Jugend geben könnte, Wiederholung und nachhaltiges Lernen wichtig sind und man möglicherweise auch gezielt binnendifferenziert arbeiten muss, um die betroffenen Schülerinnen und Schüler gezielt zu fördern .

(4) Wenn Lehrkräfte feststellen, dass der Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler hinter den eigenen Erwartungen zurückbleibt, tendieren sie häufig dazu, ihre eigenen Bemühungen zu verstärken, die Inhalte und Einstellungen den Schülerinnen und Schülern nahezu „eintrichtern“ zu wollen – häufig wiederum ohne zufriedenstellendes Ergebnis. Dies liegt – so die Lernforschung – daran, dass sie ihre eigenen Bemühungen, also die Aktivität des Lehrenden, verstärken, nicht aber das aktive Lernen der Schülerinnen und Schüler, die Konstruktionsprozesse, die bei ihnen ablaufen, fördern. Sinnvoller wäre es daher, diese Lernschwierigkeiten gezielt für den Lernprozess zu nutzen. Aus lernpsychologischer Sicht sind sie Symptome des Konstruktionsprozesses, der im Gehirn abläuft und gewähren damit Einblicke, wie die Schülerinnen und Schüler lernen. So wäre es zum Beispiel denkbar, die oben zitierten Äußerungen zum Schöpfungsglauben als Anforderungssituation und damit als Ausgangspunkt einer vertiefenden Unterrichtssequenz zu verwenden [4] .

(5) In einigen Fällen sind Diskussionen in Oberstufenkursen wegen der großen Heterogenität der Lerngruppe mühsam. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler ist eher desinteressiert und lehnt Glaube und Kirche häufig als unzulässige Beeinflussung ab, anderen haben eine hohe emotionale Bindung an Glaube und Kirche, möglicherweise sogar ein fundamentalistisches Verständnis der Bibel und erleben die kritische Auseinandersetzung ihrer Mitschüler möglicherweise sogar als Bedrohung. Diese Heterogenität lässt sich durch die oben dargestellten Entwicklungsstufen nach Fowler erklären: Viele Schülerinnen und Schüler befinden sich auf Stufe 4 (individuell-reflektierender Glaube), während andere, die man der synthetisch- konventionellen Stufe zuordnen könnte, gerade in einem noch recht unreflektierten Glauben Halt finden. In der konkreten Unterrichtspraxis können solche Diskussionen jedoch trotz für beide Gruppen fruchtbar sein und die Weiterentwicklung der Schülerinnen und Schüler fördern. Um jedoch eine weitere Entwicklung der religiösen Kompetenz zu erreichen, müssen auch binnendifferenzierte und individualisierte Lernangebote gemacht, die die Schülerinnen und Schüler gemäß ihrem religiösen Entwicklungsstand zum Denken und Reflektieren anregen.

 

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[1] Vgl. Winteler, Professionell lehren und lernen, S. 124.
[2] Vgl. Winteler, Professionell lehren und lernen, S. 123.
[3] Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Vergessenskurve
[4] Vgl. Winteler, Professionell lehren und lernen, S. 124.

 

Kompetenzorientierter Religionsunterricht in der Kursstufe: Herunterladen [pdf] [411 KB]