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Symbole bestimmen, analysieren und in ihrer Funktion beschreiben

In literarischen Texten begegnet man häufig Symbolen, die erst mit einer gewissen Welterfahrung und einem gewissen Abstraktionsvermögen gedeutet werden können. Es geht dabei weniger um eindeutig zuordenbare Bild – Bedeutungspaare wie Herz = Liebe, sondern um das Verständnis von Symbolen, die textanalytisch erst erschlossen werden müssen. Die Taube als Friedenssymbol ist hochgradig konventionalisiert. Der Wal in Moby Dick, worauf z.B. in dem Jugendbuch „Nenn mich nicht Ismael“ angespielt wird, lässt hingegen verschiedene Deutungen zu.

Das Symbol ist als Begriff in der Umgangssprache schon lange angekommen. Verwandte Begriffe werden deshalb nicht immer deutlich davon unterschieden. Im Metzler Lexikon zur Literatur und Kulturtheorie findet sich dazu verkürzt folgender Eintrag:

(gr. symbolon: Wahrzeichen, Merkmal von symballein: zusammenwerfen), in der Antike war das S. urspr. ein Erkennungszeichen aus zwei Hälften, die beim Wiedersehen, bei einer Nachrichtenübermittlung oder einer Vertragserneuerung nach längerem Zeitraum als Beglaubigung dienten. Später wurde als S. auch das auf höhere geistige Zusammenhänge verweisende bildhafte Zeichen verstanden. ... teilweise inflationär verwendet ... nicht eindeutig abzugrenzen von verwandten oder benachbarten Phänomenen wie der Allegorie, dem Emblem, der Metapher, der Metonymie und der Synekdoche. ... Dabei ist zu unterscheiden zwischen solchen Symbolen und symbolischen Handlungen, die bewusst als solche gesetzt sind (wie das christliche Kreuz ...) und sich in ihrem Verweisungscharakter erschöpfen, und solchen, die ihren eigenen Stellenwert in der Realität oder im Erzählzusammenhang haben und denen die Verweisungskraft des Symbols erst im Nachhinein zugesprochen wird ... 1

Voraussetzungen und Besonderheiten des Symbolverstehens, wenn man sich nicht auf gesetzte oder konventionalisierte Bilder beschränken will, sind:

 

  • Die Wiederholung (z.B. das Leitmotiv der schlechten Zähne als Symbol für mangelnde Vitalität in Thomas Manns Buddenbrooks)
  • Die Angabe und Betonung von Ereignissen, die nicht durch die Handlung motiviert sind (z.B. die Hervorhebung von Nebensächlichkeiten in einer dramatischen Situation)
  • Die Antithese (z.B. die gute und die böse Schwester im Märchen)
  • Die prominente thematische Stellung (z.B. die Hervorhebung durch den Titel)
  • Die parallele Anordnung (z.B. von Naturvorgängen und Handlungen) 2

 

Wie unterschiedlich und doch jeweils zutreffend ein Symbol gedeutet werden kann, lässt sich vielleicht an der oft behandelten und sehr bekannten Kurzgeschichte Streuselschnecke 3 zeigen:

Das Gebäck Streuselschnecke kann einerseits als Symbol für familiäre Geborgenheit und Kommunikation verstanden werden. Schon der Titel weist auf die besondere Bedeutung hin , ebenso die Tatsache, dass man von einem Todkranken vielleicht etwas anderes erwarten würde als ein Blech voller selbst gebackener Streuselschnecken. Das heißt, eine zunächst nebensächliche Sache, wird an einer dramatisch wichtigen Stelle im Text positioniert.

Andererseits kann die Streuselschnecke aber auch als Symbol für die Langsamkeit verstanden werden, mit der sich die Beziehung zwischen Vater und Tochter entwickelt. Die Deutung orientiert sich dabei weniger am realen Gegenstand des Gebäcks, sondern eher am Bild der sprichwörtlich langsamen Schnecke. Das semantische Potential wird hier genutzt für eine durchaus legitime, nachvollziehbare Deutung.

Dieses Beispiel zeigt, dass es beim Symbolverstehen eben nicht nur um Zuordnungen geht, sondern um das In- Beziehung – Setzen.

Clemens Kammler hat dazu ein Modell der literarischen Rezeptionskompetenz Symbolverstehen vorgeschlagen 4, das u.U. zur Orientierung hinsichtlich der Förderung und Überprüfung literarischen Symbolverstehens herangezogen werden kann.

 

  1. Erfassen der möglichen Bildlichkeit sprachlich-literarischer Elemente
  2. Überprüfung von Deutungshypothesen durch In-Beziehung-Setzen zu anderen Textpartien
  3. In-Beziehung-Setzen von Deutungshypothesen zu historischen (auch wirkungsgeschichtlichen) Kontexten
  4. Reflektieren des Spielraums, der dem Leser bei der Konstitution der Bedeutung literarischer Symbole eingeräumt wird
  5. Kenntnis und kritischer Gebrauch einschlägiger Fachbegriffe (Metapher, Symbol, Allegorie)

 

Die letzten beiden Stufen wären dabei eher in der Kursstufe anzusiedeln.
Dieser Vorschlag ergänzt insofern den Bildungsplan sehr gut, als die Metapher im Standard (6) für Klasse 5/6 genannt wird, weitere sog. Fachbegriffe und wesentliche Elemente eines Textes hinzukommen in der Klassenstufe 7/8 und 9/10, um in der Kursstufe darin zu kulminieren, dass die SuS Aspekte literarischer Texte selbstständig entwickeln und in ihrem Wirkungsgefüge analysieren können.

Kinder entwickeln jedoch schon sehr früh ein Gespür für Symbole, auch wenn der bewusste Umgang im Bildungsplan erst mit der Klassenstufe 7 /8 angesetzt wird. Der Wald im Märchen z.B. wird auch von Kindergartenkindern oder Grundschülern als etwas im Kontext des Märchens Bedrohliches interpretiert und nicht etwa als Erholungsraum, in dem man schön spielen kann.

Um vorschnellen Zuordnungen zuvor zu kommen, bieten sich auch noch in der Mittelstufe Fragestellungen an, die zunächst offen lassen, ob es sich bei dem entsprechenden Ding bzw. der entsprechenden Handlung oder dem Ereignis um ein Symbol handelt.

In der Beschäftigung mit dem Symbol des Zauns in „Der Junge im gestreiften Pyjama“ tauchen deshalb zunächst eher unspezifische Fragestellungen auf wie „Welche Rolle spielt der Zaun ...?“ „Wie schaffen es die Kinder, den Zaun zu „umgehen““?

Ein weiteres Beispiel soll noch erwähnt werden. Andreas Steinhöfels Kurzgeschichte „Winterlandschaft“ stellt im Hinblick auf das literarische Lernen und das Symbolverstehen einen „Glücksfall“ dar. 5

Die Kurzgeschichte findet sich in dem Erzählband „Defender“. Geschichten aus der Mitte der Welt. Es werden hier verschiedene krisenhafte Entwicklungsprozesse beschrieben. In der vorliegenden Geschichte geht es um ein Mädchen namens Kora, die allein mit ihrem kleinen Bruder mitten im Winter in einem Wochenendhaus zurückgelassen wird. Es liegt offensichtlich eine familiär desolate Situation vor, in der sich weder Vater noch Mutter so verhalten, wie Kinder das erwarten dürfen. Die Situation wird kritisch, als am dritten Tag die Gasvorräte aufgebraucht sind. Kora muss widerwillig eine Art Mutterrolle übernehmen.

Drei Symbole sind in diesem Text eingearbeitet: das Feuer, das Beil und die Winterlandschaft.

Der „Winter“ durchzieht den Text leitmotivisch und es wird schnell klar, dass die winterliche Kälte auch etwas mit der familiären Kälte und Verlorenheit zu tun hat. „Kora hasste den Winter ... Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sich vor dem Winter gefürchtet hatte“ Und während ihre Klassenkameraden die Skihänge hinunterfahren, kommt ihr der Gedanke, „die ganze Welt sei gestorben und liege nun, in schimmerndes Kristall verwandelt, auf ewig unter der festgefahrenen Schneedecke“ 6

Gleichzeitig verbindet sich mit Winter aber auch so etwas wie Ruhe, Unschuld und Neuanfang – eine Deutung, die am Schluss durch das Auftauchen des Vaters auch eingelöst wird. Der kleine Bruder legt sich z.B. in den Schnee und hinterlässt einen Schneeengel.

Eine eindeutige oder eindimensionale Deutung des Winters oder des Schnees greift also zu kurz. Die Mehrdeutigkeit eines literarischen Textes kommt hier zum Tragen.

Die parallele Anordnung von Naturvorgängen und Handlungen, wie sie Clemens Kammler als Besonderheit und Voraussetzung symbolischen Verstehens beschrieben hat,  zeigt sich auch sehr deutlich am Bild der Frostblumen. Gleich am Anfang illustrieren die „bizarren Frostblumen“ 7 die Dramatik der Handlung, da das Gas zu Ende gegangen ist. Als sich Kora und ihr kleiner Bruder wieder annähern nach einem Streit heißt es: „Die ersten Frostblumen öffneten ihre Blüten.“ 8

Der Blick auf den Bildungsplan zeigt, dass Symbolverstehen eingebettet ist in ein Bündel verwandter Kompetenzen. Wenn man ein Symbol analysiert, liegt es nahe, dieses Symbol zur Interpretation heranzuziehen, den Text zu kontextualisieren und auch zu werten.

Symbole zu verstehen, Texte damit zu deuten und sich mit der Mehrdeutigkeit von literarischen Texten zu beschäftigen sind somit wesentliche Neuerungen dieser Entwicklungsstufe.

 


1   Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie Ansätze – Personen – Grundbegriffe, 5. Auflage 2013 Ansgar Nünning (Hrsg.)

2   Clemens Kammler / Bettina Noack, Symbolverstehen im Deutschunterricht, Basisartikel Praxis Deutsch Juli 2011 Symbole verstehen, S. 6

3   Julia Franck, Streuselschnecke

4   Clemens Kammler / Bettina Noack, Symbolverstehen im Deutschunterricht, Basisartikel Praxis Deutsch Juli 2011 Symbole verstehen, S. 8

5   vgl. Ann-Kathrin Huhn / Sven Schmolke, „Die ersten Frostblumen öffneten ihre Blüten“ , S.30 – 34 in: Praxis Deutsch Juli 2011, Symbole verstehen

6   Steinhöfel, Defender, S.50

7   Steinhöfel, Defender, S.39

8   Steinhöfel, Defender, S.48

 

John Boyne - Der Junge im gestreiften Pyjama: Herunterladen [pdf][207 KB]

John Boyne - Der Junge im gestreiften Pyjama: Herunterladen [docx][52 KB]

 

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