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Fiktionalität 3 Spiralcurriculum

Vorschlag eines Spiralcurriculums

Nach den Vorgaben der Synopse für den Bildungsplan 2016 im Fach Deutsch ergibt sich ein Spiralcurriculum,1 das damit beginnt, dass

  • in Kl.5/6 neben dem (mit-)erlebenden Rezipieren von Texten und Figuren bereits von den SuS eigene Haltungen zu den dargestellten literarischen Lebensentwürfen und Wertvorstellungen sowie analytische Zugänge verlangt werden.

  • Diese werden in Kl.7/8 dergestalt weitergeführt, dass neben den analytischen Zugängen von Gattungsmerkmalen und dem Zusammenhängen von Form und Inhalt auch Auseinander-setzungen mit fiktionalen Lebens- und Weltentwürfen zwischen Identitätsstiftung und Alteritätserfahrungen eine wichtige Rolle spielen.

  • Kl. 9/10 fügt diesen Fertigkeiten die Auseinandersetzung mit Mehrdeutigkeit und Intertextualität sowie den Bezug fiktionaler Lebens- und Weltentwürfe auf Epochenbegriffe inklusive des Text-Kontext-Problems (textinterne und textexterne Faktoren des Textverständnisses) hinzu und vertieft zudem das Spannungsverhältnis von Identität und Alterität.

  • Die Kursstufe Kl.11/12 führt all diese Aspekte weiter in vergleichender, reflektierender und beurteilender Hinsicht weiter.

Zu den kontinuierlich mitlaufenden Aspekten des Spiralcurriculums im Sinne einer Progression, die sowohl die Wirkung als auch die Analyse mitbestimmt, gehören Erzählmuster, Entfaltung von Handlung („Plot“) und Spannung, Darstellungstechniken und Symbolstrukturen. Dementsprechend können bereits vor Kl.9/10 Elemente in Form von Materialien und Methoden eingeführt werden, deren Materialien Erzählmuster ein- und weiterführen.

KLASSE 5/6

In Klasse 5/6 lernen die SuS unter anderem die Beschreibung der literarischen Helden und ihrer Lebenswelt als Grundlagen der Figurencharakterisierung und Figurenkonstellation sowie basale Erzählstrukturen kennen, die einen Spannungsaufbau hervorbringen und sich durch die sogenannte „Spannungsmaus“ darstellen lassen (vgl. TK 5-6, 13 und 16).2 Die SuS sollen in die Lage versetzt werden, Deutungsansätze zu entwickeln (TK 10).

In den Märchen erkennen die SuS beispielsweise erste Ansätze zu den Entwicklungs- bzw. Bewährungsprozessen des Helden bzw. der Heldin, die den Spannungsbogen und die Figurencharakterisierung in ein dynamischeres und variableres Handlungsmuster umsetzen.

Dies findet sich auch in den Sagen der griechischen Antike (z.B. Odysseus) und den mittelalterlichen Sagen (als Adaption der Ritterepen) wieder, etwa aus dem Sagenkreis der Artusepik (vgl. Erec, Parzival). Häufig wird die Bewährung der Heldenfigur („Protagonist/in“) mit dem „Gut-Böse-Schema“ kombiniert, bei der ein feindseliger Gegenspieler bzw. eine Gegenspielerin („Antagonist/in“) eine wichtige Rolle spielt – diese Variante des Erzählmusters kann den SuS bereits in Märchen wie „Aschenputtel“, „Schneewittchen“, „Rumpelstilzchen“, „Hänsel und Gretel“ oder „Schneeweißchen und Rosenrot“ anschaulich vorgeführt werden, ebenso die Variante der Bekehrung eines bösen Helden wie in „Die Schöne und das Biest“. Da gerade Märchen ihre Heldenfiguren mit magisch-phantastischen Hilfsmitteln ausstatten, kann man den SuS die Funktionen des Phantastischen zeigen und sie als ästhetische, oftmals auch symbolische Ausgestaltung der fiktionalen Welt einführen (Der Apfel der bösen Stiefmutter Schneewittchens als Verführung wie beim biblischen Sündenfall, Zahlenmagie – Symbolik von Vollkommenheit etc.).

Die modernen Umsetzungen der genannten Charakterisierungs- und Erzählmuster lassen sich mit den phantastischen Jugendbücher, wie z.B. „Momo“, „Der kleine Hobbit“, „Harry Potter (Bd.1)“ oder „Alice im Wunderland“, vertiefen, die zudem als Graphic Novel oder als filmische Umsetzungen vorliegen, so dass den SuS ein weiterer medialer Zugang zum Thema vermittelt werden kann. Selbst humorvolle Umsetzungen wie Walter Moers´ „Die Stadt der träumenden Bücher“ können über das genannte Schema gut analysiert werden. Gleiches gilt für das Kunstmärchen, das Elemente des Realistischen und Psychologischen mit dem Phantastisch-Wunderbaren kombiniert. Hier können die SuS die Auseinandersetzung der Helden mit der widrigen Welt erkennen, die dazu führt, dass, je mehr die Handlung auch psychologisch ausgestaltet ist, diese mit inneren Konflikten der Heldenfigur verbunden ist (siehe Hauff „Das kalte Herz“ ). Methodisch kann das bereits zu ersten Erkenntnissen bezüglich der Erzähltechnik führen, da eine Psychologisierung im Regelfall mit dem Einsatz personaler Erzähltechniken wie der Innensicht verbunden ist.

KLASSE 7/8

Die erlernten Schemata und Methoden können in diesen Klassenstufen durch Variantenbildung über die Textsorten- und Mediengrenzen weitergeführt und durch weitere Analysetechniken zur Gestaltung, Funktion, Wirkung sowie Interpretationsverfahren ergänzt werden.

Hier ergibt sich, v.a. in Kl.8, die Weiterführung der Analyse der Figuren (TK 16) und die Auseinandersetzung mit dem „Heldenbegriff“ sowie narrativen Strukturen (wie dem Schema der „Heldenreise“; vgl. TK 19-20). Auf diese Weise wird der Zugang zu den mittelalterlichen „Ritterepen“ („Erec und Enite“, „Parzival“) ermöglicht, deren alteritäre (also völlig andersartige) Welt damit vertrauter erscheinen kann, gerade weil sie mit neueren Varianten in „Der Herr der Ringe“ oder in filmischer Umsetzung bei „Star Wars“ vergleichbar ist (vgl. TK 21-22) – auch wenn unterschiedliche epochale und mediale Kontexte zu berücksichtigen sind; gleichzeitig kann aber auch das Problem der Verflachung und Trivialisierung diskutiert werden (vgl. „Liebesromane“, Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen, Soaps, vgl. TK 23). Die vergleichende Betrachtung kann durch Jugend-/Adoleszenzromane weitergeführt werden, denn hier findet sich häufig die psychologisch ausgefeilte Variante der Helden und ihrer Entwicklung. So zeigt sich bereits im ersten Band von „Die Tribute von Panem“ die Entwicklungsdynamik der Heldin angesichts von Bewährungen und die Rolle von Helferfiguren; Ähnliches gilt für den Helden des Jugendromans „Erebos“, der zunehmend das intrigante Machtspiel hinter dem Computerspiel, nach dem er süchtig ist, entdeckt oder für die Figuren in „Tschick“ .3 Die Weiterführung der Strukturanalyse, Erzähltechniken, Charakterisierungen in erste Schritte zu einer schlüssigen Deutung erscheint hier methodisch sinnvoll, um zu zeigen, wie die fiktionale Welt auch bei realistischen Darstellungen ohne magische/phantastische Elemente des Märchens und der Phantastik vielschichtig gestaltet und symbolisch sowie psychologisch aufgeladen werden kann.

Ferner ergibt sich eine Anbindung an die Medien-Einheit über Inszenierungstechniken im Fernsehen und zur Filmgestaltung (z.B. „Tatort Bodensee“-Projekt).4 Die SuS erlernen auf diese Weise einerseits die narrativen Strukturen intermedial zu vergleichen, aber auch die unterschiedliche mediale Darstellung fiktionaler Welten zu beschreiben (vgl. 3.n.1.3., Medien, TK 10.).

KLASSE 9/10

In diesen Klassenstufen ist eine Ausweitung des Blicks auf eine thesengeleitete Deutungsstrategie und auf unterschiedliche ästhetische Gestaltungsvarianten der fiktionalen Welt und ihrer epochalen Varianten vorgesehen (TK 5-8 und TK 14). Dabei sollen u.a. auch die Varianten und Abweichungen der Struktur- und Erzählmuster verdeutlicht werden. Hier eignen sich zur differenzierenden Analyse und Erstellung von Deutungshypothesen aufgrund der komplexeren Figurencharakterisierung (u.a. im Sinne der Wertevermittlung und Beurteilung, TK 23) und der Unterschiede zwischen realistischen und phantastischen Weltentwürfen bzw. der Mischung von textinternen und textexternen Faktoren (TK 15, 22-23) Werke wie „Die Judenbuche“ (Kl.9), „Der Richter und sein Henker“ (Kl.9 oder 10) oder „Der Schimmelreiter“ (Kl.9, hier v.a. in der realistischen Auflösung des Phantastischen (Teufelspferd, Hauke als Geister-Schimmelreiter) mittels des Motivs des Aberglaubens und der Legendenbildung) bzw. Dramen wie „Kabale und Liebe“ oder ein expressionistisches Stationendrama („Von morgens bis mitternachts“). Sie zeigen die kritische Brechung der klassischen Heldenkonzeption in Form des Antihelden sowie alteritäre und psychologische Aspekte des Heldenbegriffs. Grenouille als Antiheld in „Das Parfum“ kann dann im Vergleich als intertextuelles und parodistisch-ironisches, ästhetisch geformtes Konstrukt erarbeitet werden (TK 12, aber auch der Aspekt der Mehrdeutigkeit TK 20 und TK 5 Intertextualität). Die kritische Analyse der Heldenkonzeptionen und Handlungsschemata ermöglicht schließlich in der Kursstufe eine Anbindung an Werke wie „Faust I“, „Steppenwolf“, „Der goldene Topf“, „Der Sandmann“ (Held – Entwicklung – Helfer, Antagonist – Erlösung?).

 

1 Bildungsplan 2016 Gymnasium, Synopse der inhaltsbezogenen Kompetenzen für das Fach Deutsch, S.3.

2 Das Kürzel TK meint hier die Teilkompetenzen der Domäne Literatur.

3 Eine plausible Aufschlüsselung von „Tschick“ als Heldenreise findet sich unter www.leselink.de/uebers-schreiben/buecher-schreiben/tschick-inhaltsangabe-heldenreise.html

4 Es handelt sich hier um einen jährlichen Jugend-Drehbuch-Wettbewerb des Landesmedienzentrums Baden-Württemberg zur einem vorgegebenen Plot.

 

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