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Einführung

Inhalt

Integrative Einführung des Wörterbuchs

Der neue Bildungsplan hat die Anzahl der Wörter, die bis zum Abschluss der Lehrbuchphase in Latein gelernt werden sollen, deutlich reduziert. Dies lässt sich möglicherweise mit der durch G8 bedingten Reduktion des Zeitfensters für häusliches Lernen und der reduzierten Wochenstundenzahl begründen. Bei einem Teil der Lehrerschaft sorgt das für Erleichterung, wissen sie doch um die vielfach lückenhaften Vokabelkenntnisse ihrer Schützlinge. Mit dem neuen Bildungsplan scheint ein realistischeres Ziel gesetzt worden zu sein. Ein anderer Teil ist skeptisch: die Reduzierung wird sich negativ auf die angestrebte Lektürefähigkeit auswirken. Die Pessimisten wappnen sich mit Spott: Einzige Auswirkung der Änderung werde sein, dass die Schüler weniger Wörter nicht wissen. Die Doppeldeutigkeit dieser Aussage hat mich inspiriert zu überlegen, ob und wie das bestehende und weiter zu befürchtende „Defizit“ möglicherweise mittels einer effizienteren Arbeit mit dem Wörterbuch ausgeglichen werden kann.

Im Internetzeitalter ist die communis opinio, dass man längst nicht alles wissen muss, sondern nur, wo man es nachschlagen kann. Daher glauben auch die meisten unserer Schüler, dass ihre Probleme bei der Übersetzung in dem Moment gelöst wären, in dem Ihnen ein Wörterbuch zur Verfügung stünde. Beim hektischen Nachschlagen in selbigem, sobald der zu übersetzende Text einer Klassenarbeit vor ihnen liegt, erhebt sich vielerorts Unmut, weil das Gesuchte nicht gefunden wird: „Das steht da nicht drin!“ Auch kritische Stimmen werden laut, wenn das Gefundene nicht zum Verständnis beiträgt: „Das ergibt keinen Sinn!“ Wenn am Ende der Lehrer die Arbeiten einsammeln will, breitet sich Panik aus, da viele Schüler nicht über die Hälfte des Textes hinausgekommen sind. Die Korrektur mag den Korrektor erheitern, zumindest bis der Notendurchschnitt zu berechnen ist.

Was Schüler übersehen, ist, dass die kompetente und damit erst effiziente Benutzung eines Wörterbuchs eine ganze Menge Fähigkeiten auf Seiten des Nutzers voraussetzt. Trotzdem erfährt im Lateinunterricht die Wortschatzarbeit und erst recht das Arbeiten mit dem Wörterbuch angesichts der stets knappen Zeit oft eine eher stiefmütterliche Behandlung, obwohl sich leicht zeigen lässt, dass die Semantik mehr Bedeutung für das Verständnis einer sprachlichen Äußerung hat als die Grammatik.

Und obwohl wir als Lehrer sehen, dass es bei den meisten nicht der Fall ist, erwarten wir von unseren Schülern, dass sie mit einem Wörterbuch per se oder spätestens nach ein paar Stunden Einführung desselben umgehen können. Die im Bildungsplan zur Wörterbucharbeit ausgewiesenen Kompetenzen hören sich zunächst auch selbstverständlich an:

  • Die SuS können nach Einführung in die wichtigsten Benutzungsregeln des Wörterbuchs das Bedeutungsspektrum von Wörtern analysieren.1

  • Die SuS können eine kontextgemäße Bedeutung aus einem Wörterbuchartikel zunehmend selbstständig auswählen und ihre Entscheidung begründen, auch unter Berücksichtigung der dort genannten Angaben zur grammatischen Konstruktion.2

Bei näherem Hinsehen wird jedoch schnell klar, dass die SuS, um tatsächlich über diese Kompetenzen verfügen zu können, einige weitere Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen müssen:

  • Auffinden eines Lemmas mittels morphologischer Kenntnisse, durch die die Einzelform auf die Ursprungsform zurückgeführt werden kann

  • Kenntnis des Verfahrens, das das Wörterbuch für die unterschiedlichen Wortarten verwendet

  • Vertrautheit im Umgang mit Verweisen des Wörterbuchs (Bsp.: PPP)

  • Auflösung von Abkürzungen (insbesondere auch grammatische Erläuterungen)

  • Kontext muss erschlossen und verstanden worden sein

Gerade Ersteres und Letzteres lässt Schüler häufig scheitern und man muss sich fragen,

  1. wie auch von schwächeren SuS ein Wörterbuch gewinnbringend für die Übersetzung genutzt werden kann
  2. wie die SuS feststellen können, ob sie Fortschritte in der WB-Benutzung machen
  3. welches Wörterbuch sie dabei am meisten unterstützt.

Leider gibt es sehr wenig hilfreiche Literatur zum Thema Wörterbucharbeit im LU, einzig das AU-Heft 6/2009 (Arbeiten mit dem Wörterbuch). Dort findet sich eine Übersicht zu den Grundprinzipien der Wörterbuchdidaktik:

  • Die Wörterbuchdidaktik sollte sprach- und nicht wörterbuchorientiert sein, d.h. sie sollte ausgehend von konkreten sprachlichen Problemen Funktion und Struktur von Wörterbüchern vermitteln und nicht Nachschlageübungen um ihrer selbst willen initiieren.
  • Die Wörterbuchdidaktik sollte sich nicht in Form geschlossener Unterrichtseinheiten manifestieren, sondern kontinuierlich in den Sprachunterricht einbezogen sein.
  • Die Wörterbuchdidaktik sollte sich nicht auf das Einüben einfacher Nachschlagetechniken beschränken, sondern den Einsatz des Wörterbuchs auch beim Wortschatzerwerb und bei komplexen sprachlichen Fragestellungen vermitteln.
  • Die Wörterbuchdidaktik sollte zum lehrerunabhängigen, selbstbestimmten Gebrauch von Wörterbüchern hinleiten.
  • Die Wörterbuchdidaktik sollte berücksichtigen, dass benutzerabhängig verschiedene Stile bei der Wörterbuchbenutzung festzustellen sind.
  • Die Wörterbuchdidaktik sollte schon in den ersten Schulklassen ihren Platz im Lehrplan haben.3

Soll dem Rechnung getragen werden, bedeutet das m.E. eine quasi induktive Einführung des Wörterbuchs und einen schrittweisen Aufbau von Wörterbuchbenutzungskompetenz auf der Grundlage der jeweils gelesenen Lektüre in Form einer – wie es Martin Holtermann für Griechisch genannt hat – „Trainingsspirale“. Wie diese aussehen könnte, möchte ich hier zeigen. Anders als im Fach Griechisch, wo sowohl Erstlektüre als auch das zu benutzende Wörterbuch feststehen, und somit die Möglichkeit besteht, eine lektürebegleitende, autorzentrierte Einführung in das Wörterbuch mit Materialien zu entwickeln, die jeder Lehrer sofort einsetzen kann, gibt es im Fach Latein viele mögliche Erstlektüretexte und mehrere Wörterbücher zur Auswahl. Das hat zur Folge, dass die von mir vorgestellten Materialien nur Vorschläge für Aufgabenformate sein können, die je nach gewählter Lektüre und Wörterbuch auf diese hin angepasst werden müssten. Das Sprachmaterial in meinen Vorschlägen entstammt dem 1. und 6. Buch aus Caesars De bello Gallico (konkret Helvetierkrieg, Krieg gegen Ariovist und Germanenexkurs) und Ciceros Pro S. Roscio Amerino. Da weder Caesar noch Cicero sich nach den Bedürfnissen einer Einführung in die Wörterbuchbenutzung richten, lassen sich die Materialien nicht chronologisch lektürebegleitend einsetzen. Stattdessen entdecken die SuS bereits Gelesenes darin wieder oder umgekehrt bei der Lektüre Inhalte aus den Materialien.

Was das zugrunde liegende Wörterbuch betrifft, habe ich die Gelegenheit benutzt, mit meinen Materialien ansatzweise den ganz neuen Stowasser vorzustellen.

Ausgangspunkt der Trainingsspirale sind die Kompetenzen, welche die SuS aus der Spracherwerbsphase mitbringen (s. Überblick über die Materialien!). Wichtig wäre, dass diese Kompetenzen noch in der Lehrbuchphase gezielt auf die spätere Wörterbuchbenutzung hin aktiviert werden. Also nicht nur bewusste Benutzung des alphabetischen Vokabelverzeichnisses zum Nachschlagen von noch nicht oder nicht mehr bekannten Vokabeln, sondern von Anfang an auch schon Bewusstsein wecken für die Bedeutungsbandbreite vieler Wörter und deren Sicherung in geeigneter Form.

Es erscheint mir im Sinne der Schulung eines eigenständigen und kritischen Umgangs mit dem Wörterbuch, der es auch wagt, im Bedarfsfall über die dort vorgefundenen Bedeutungen hinauszugehen, um eine treffende zielsprachenorientierte Übersetzung zu finden, sehr wichtig, den SuS zu vermitteln, dass es keine Wortgleichungen in dem Sinne gibt, dass Bedeutungsangaben randscharf zu verstehen sind (Bsp. afficere = versehen mit). Oder anders gesagt: ich halte es für gefährlich, SuS den Glauben an sogenannte „wörtliche Übersetzungen“ zu vermitteln. Deshalb sollen die SuS noch vor der Einführung des Wörterbuchs für einen sparsamen, aber gründlichen Gebrauch desselben sensibilisiert werden: sparsam, um dem eingangs beschriebenen strukturlosen Nachschlagen schier sämtlicher Wörter eines Textes entgegen zu wirken. Gründlich, um zu verhindern, dass die erstbeste, aber im Kontext nicht passende Bedeutung gewählt wird.

Was bei den Materialien nicht berücksichtigt wurde, sind: