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Rezension

Anselm Grün
Menschen führen – Leben wecken
Münsterschwarzach, 7. Aufl. 2004


Verhaltensregeln für Mönche, verfasst vor 1500 Jahren, gedacht für das Leben im Kloster – heute für Führungskräfte noch ein Ratgeber für den Alltag zwischen Computer, Stress und Wettbewerb? Die Antwort Pater Anselms, Cellerar (wirtschaftlicher Verwalter des Klosters) in Münsterschwarzach lautet eindeutig ja. Der rührige Pater steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Wirklichkeit, spekuliert für das Kloster mit Aktien, nutzt die Möglichkeit von Devisengeschäften und ist Chef für 280 Mitarbeiter. Die Grundlage für diese Tätigkeit sieht er eindeutig in der Regel des Heiligen Benedikt, die dieser für die Mönche seines Klosters entwickelt hatte. In sieben Kapiteln stellt Grün die grundlegenden Botschaften aus der Benediktsregel dar, die ihre Gültigkeit behalten haben und für den interessierten Leser, die interessierte Leserin wichtige Hinweise für den Führungsalltag im 21. Jahrhundert geben können.

Ausgangspunkt der Darstellung sind die „Eigenschaften des Verantwortlichen“, gefolgt von der „Weise des Führens“ – gemäß dem Menschenbild Benedikts von Nursia. Das 3. Kapitel beschäftigt sich mit der „Leitung als Dienst“. Dann wird es sehr konkret. Die beiden nächsten Abschnitte beschäftigen sich mit dem Umgang mit Dingen und Menschen. Ein ganzes Kapitel ist dem „Umgang mit sich selbst“ gewidmet und schließlich laufen die Ziele der Führung in einer „spirituellen Unternehmenskultur“ zusammen.

Anselm Grün hebt den besonderen Ansatz Benedikts bezüglich Führungsfragen hervor: „Es geht vor allem um die Frage, wie einer, der führen soll, beschaffen sein muss, wie er an sich arbeiten muss, um überhaupt führen zu können. Führung durch die Persönlichkeit ist für Benedikt das Wichtigste.“ (7) Wesentlich wird damit das Ziel von Führung. Es besteht nicht wie herkömmlich in der Gewinnmaximierung (wobei Gewinn zu machen durchaus auch von Pater Anselm beabsichtigt wird), sondern „im achtsamen Umgang mit der Schöpfung und dem Menschen“. Dieser Ansatz dürfte nicht nur für non-profit-Organisationen spannend sein. Grün sieht – wohl auch auf Grund seiner reichhaltigen Seminarerfahrungen – dass viele Firmen erkannt haben, dass reine Kostensenkungsmaßnahmen und Kontrolle der Arbeitszeit nicht den Sinn des Wirtschaftens darstellen können. Damit kommt denjenigen, die für die Steuerung eines Betriebes verantwortlich sind, eine besondere Bedeutung zu. Die Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit sieht Grün nach der Benediktsregel so begründet:

•  Erfahren sein
•  Menschliche Reife
•  Bescheidenheit
•  Demut
•  Nicht aufgeregt sein
•  Gerecht sein
•  Klar entscheiden
•  Gottesfurcht
•  Wie ein Vater (sein)

Bei der Lektüre wird deutlich, dass alle diese Forderungen einerseits nicht leicht zu erfüllen sind, andererseits aber auch einen ganz starken Bezug zu unserer Arbeitswelt haben, wobei Werte wie Bescheidenheit und Demut nicht so häufig zum Verhaltensrepertoire eines ‚erfolgreichen Managers’ gehören. Nach der Benediktsregel kommt es mehr auf die Werte an, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen – und dies im Bewusstsein um die Einbettung in ein christliches Weltbild. Dagegen Erfahrung, Reife, Gerechtigkeit, klare Entscheidungen – das hört sich alles doch recht vertraut an.
Grün bezieht überzeugend die Werte, die er in der Benediktsregel findet, auf die Welt außerhalb des Klosters. Dass Grün die Welt wie sie ist bejaht, zeigt sich z. B. in seiner Auseinandersetzung mit dem Geld. Besitz und Vermögen gilt es durchaus zu mehren – wenn es im Bewusstsein der Ehrfurcht vor Gott geschieht. Pragmatisch begründet er seinen Cellerarsumgang mit den Wirtschaftsgütern seines Klosters so: „Wenn ich sinnvoll mein Geld anlege, kann ich die Mitarbeiter entlasten und ein gutes Betriebsklima schaffen, in dem dann effektiver gearbeitet wird als unter dem Druck der Armut. Mit dem Geld gut umzugehen, ist daher für mich immer auch Dienst am Menschen, Sorge für den Menschen.“ (78) Auch den Umgang mit Geld sieht er als spirituelle Aufgabe: „Ich muss mit Geld umgehen, aber ich muss es immer wieder loslassen.“ (81) Das ist wohl ein ganz wesentlicher Unterschied zu Managern, die den Sinn ihrer Tätigkeit ausschließlich in der Profit- und Gewinnmaximierung sehen, nicht in der Dimension der Lebenserleichterung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Für den Umgang mit Menschen treffen die Regeln Benedikts klare Zielvorgaben: Wichtig ist das gute Wort für jeden, ein Lob, Höflichkeit und Liebenswürdigkeit gegenüber den Mitarbeitern, denn „Führung ist aktives Gestalten und Führung ist vor allem Zuwendung.“ (103f) In einem freundlichen Betriebsklima arbeitet jeder gerne. Und: „Wer gerne arbeitet, weil er sich in seiner Arbeit geachtet und geliebt fühlt, der wird weniger krank feiern und motivierter an seine Arbeit gehen.“(108) Das bedeutet keine permanente Schönfärberei, Fehler gehören benannt und beseitigt.

Interessant sind die Anforderungen an den Abt: „Er soll das Maß nicht überschreiten, er soll nicht zuviel arbeiten, zu streng sein, zu genau, zu schnell. Mit dem „zuviel“ entmutigt er seine Mitarbeiter. … Der Abt muss in sich das richtige Maß verwirklichen.“ (109)

Nicht minder wichtig ist für Benedikt der Umgang einer Führungsperson mit sich selbst, denn wer „sich ständig überfordert, wird (…) auch der Gemeinschaft nicht wirklich helfen.“(119) Daher gilt es, die Kräfte einzuteilen und ohne „Arbeits-Sucht“ seinen Tätigkeiten nach zu gehen. Es ist für den Führenden besonders wichtig, in einer Art innerem Gleichgewicht zu stehen und das auch nach außen zu vermitteln.

Ziel der Verhaltensregeln für die Führungskräfte ist letztendlich eine spirituelle Unternehmenskultur, die auf einem christlichen Fundament aufbaut mit „Raum für Kultur, für philosophische Gespräche“ (132), ja für den „Sinn des Lebens“. Erst dann kann nach Grün ein Unternehmen seiner Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden.

Es ist sicher nicht alles neu für den Leser, der sich mit Führungsfragen beschäftigt hat, manches wirkt altbekannt. Aber es sind häufig die scheinbar einfachen Dinge, die im Führungsalltag schwer fallen. Wie wichtig gerade „Basics“ sind, welche Auswirkungen sie auf den Arbeitsalltag haben und welche Dimensionen mitgedacht werden müssen – das vermittelt Anselm Grün mit seiner Darstellung des Regelwerks des Hlg. Benedikt. Vieles von dem, was er über die Cellars- und Abtkapitel darstellt, könnte ebenso gut in einem Handbuch für Manager stehen – bloß welches heutige Handbuch für Führungskräfte wird auch noch in 1500 Jahren so aktuell sein wie die Regeln Benedikts? Für alle Führungskräfte, die über den merkantilen Tellerrand schauen wollen, ist die Lektüre gewinnbringend und anregend zugleich.




Wer sich mit den Regeln des Heiligen Benedikt selbst auseinandersetzen will, findet den vollständigen Regeltext hier: http://www.benediktiner.de/