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Ludwig Häusser

Infobox

Diese Seite ist Teil einer Materialiensammlung zum Bildungsplan 2004: Grundlagen der Kompetenzorientierung. Bitte beachten Sie, dass der Bildungsplan fortgeschrieben wurde.

Denkwürdigkeiten zur Geschichte der Badischen Revolution,
Heidelberg 1851

Ob das Volk sich noch einmal wird fortreißen lassen von solchen Führern und wir eine blutigere Wiederholung der Aufstände vom April, September und Mai erleben werden? Wir glauben es nicht.  D i e s e  Phase der revolutionären Demokratie hat, scheint uns, ihre Rolle ausgespielt.

Nicht als ob wir Zweifel hegten an dem unsichtbaren Fortwirken des revolutionären Aethers, oder uns in die trügerische Zuversicht einwiegen möchten: man habe im Juni und Juli 1849 die Revolution überwunden! Man ist kaum in rechten Kampf mit ihr gekommen. Verkümmert und geschwächt durch die Unfähigkeit der Leiter, kärglich unterstützt von der eignen Partei, war die Revolution vom Mai 1849 sich selber der bitterste Gegner. Mochte die innere Immoralität der Urheber und der Anfänge oder die Untüchtigkeit der Führer die größere Schuld tragen, in jedem Falle blieb die revolutionäre Bewegung zur kümmerlichen Rolle eines süddeutschen Aufruhrs verurtheilt, und gegen diesen besaßen die bestehenden Gewalten Kraft genug, um ihn zu überwältigen. Diesen süddeutschen Aufruhr, der in Baden und der Pfalz die Oberhand hatte, in Hessen, Nassau, Württemberg usw. nur wohlfeile Sympathien, aber keine Thaten unter den Gleichgesinnten hervorrief, diesen Aufruhr hat die bestehende Autorität niedergeworfen, ohne besonders große Raschheit und mit ziemlich mäßigen militärischen Erfolgen. Sie hat keine Ursache, allzu stolz zu sein auf diesen Sieg, oder gar in siegestrunkener Verblendung die größere Gefahr vor der kleineren zu übersehen.

Denn die Revolution ist nicht überwunden; kaum hat man im Kampfe mir ihr sich gemessen. Die zersetzende Kraft demokratischer Lehren wirkt heute so gut fort, wie in den dreißig Jahren einer ängstlich überwachenden, polizeilich beschränkenden und verfolgenden Friedensperiode, die wir hinter uns haben. Keine äußere Gewalt kann dem begegnen. Denn unter dem Schmutze der Gemeinheit, unter dem Schutte wilder, zuchtloser Leidenschaften wirken mit fast unwiderstehlicher Macht die Ideen fort, die seit mehr als einem Jahrhundert die Welt abwechselnd beherrscht und verwirrt, die Menschen bald begeistert, bald verwildert haben. Diese Ideen haben angefangen, die Massen zu berühren; […] Die moderne Welt muss diese unsichtbaren Kräfte zu läutern, zu nützen, zu beherrschen suchen, wenn sie selber nicht von dem blinden Vandalismus der blinden Werkzeuge zertrümmert werden will.

[…] Nicht in Baden allein, sondern in einem großen Theile von Deutschland waren die Erscheinungen ähnlich, auch wenn die Krisis nicht überall von so erschütternder Gewalt war. Aber allenthalben konnten wir wahrnehmen, wie die Massen von den corrosiven Wirkungen der falschen Demokratie berührt und durchdrungen werden, allenthalben konnten wir jenen muthlosen, ängstlichen, wandelbaren Mittelstand kennen lernen, der sich zum willenlosen Opfer der herrschenden Parteien macht; allenthalben sind wir Zeugen gewesen des traurigen Wechsels zwischen Gewalt und Gegengewalt, der Niederlage und Ohnmacht der Parteien, die auch nach diesen bitteren Erfahrungen, unter den niederschlagenden Eindrücken eines ziellosen Ringens zwischen Despotie und Revolution, den Glauben an eine friedliche Lösung der großen Zeitprobleme nicht verloren und sich die undankbare Aufgab gesetzt haben, der lästige Warner zu sein für die verblendeten, siegreichen Gewalten.

[…] Uns Deutschen wird es so gut nicht werden, daß wir mit ähnlichem stolzen Behagen an der Gegenwart uns freuen […] Inmitten der Verwilderung kräftiger und zuchtloser Massen, der Haltlosigkeit und Schwäche der Gebildeten, hin- und hergeworfen von dem wechselnden Uebergewicht ganz widersprechender Gewalten, scheinen wir der Zeit noch ferne, wo wir auf dem Grunde des Rechts und der Sitte den Bau unseres öffentlichen Lebens aufrichten können.

Zu lange sind wir dessen entwöhnt worden. […] Die sittlichen Bänder, welche unsere Gewalten mit der Gesellschaft verknüpfen, haben […] an haltbarer Stärke merklich nachgelassen, aber das Unkraut revolutionärer Gelüste und die Erinnerung des einmal gekosteten revolutionären Genusses wirkt in wuchernder Ueppigkeit umso unbeschränkter fort, je weniger man es versteht, mit sittlichen Momenten das wankende Gebäude unserer öffentlichen Ordnung zu stützen.

Sehen wir einmal von dieser Seite durch die Lenker und Berather im großen Kreise des ganzen Vaterlandes den Anfang gemacht zu der einzigen dauernden „rettenden That“, sehen wir das Recht geschützt und die Eide bewahrt, sehen wir der zügellosen Gewalt ein Ziel gesetzt und mit Ernst die Wege eingeschlagen zu einem wahren, ehrlichen und gewissenhaften Regiment, dann wollen wir die Revolution für überwunden halten, und in all den großen und kleinen Erschütterungen der jüngsten Jahre, zu nächst in unserem engern Heimathlande, gern die warnende Deutung erkennen, die sie nach Oben und nach Unten bewähren sollten.